■ Was Sie schon immer...
: ... über die Bahnreform wissen wollten

Die wundersame Verwandlung der Staats- und Behördenbahnen DB und DR in eine Deutsche Bahn AG (DB AG) zum 1. Januar 1994 ist eine hochkomplexe Operation: 130 Gesetze und zwei Grundgesetzartikel werden geändert, Benzin wird ab 1. Januar um 16, Diesel um 7 Pfennige teurer, fast 400.000 Menschen erhalten neue Arbeitsverhältnisse, 150 Milliarden Schulden wandern in neue Töpfe und eines der größten Unternehmen der Welt wird von Grund auf umgekrempelt.

Damit nicht genug: Die Rahmenbedingungen für den Schienenverkehr ändern sich in den nächsten Jahren grundlegend. Die Bahn AG verliert ihr Monopol, muß private Konkurrenz auf die Schiene lassen. Auf EG-Ebene beschlossene und zwingend verbindliche Richtlinien werden damit - verspätet - auch deutsches Recht. Zudem ist der öffentliche Nahverkehr ab 1996, auch dies EG-Vorschrift, allein Sache von Ländern und Kommunen.

Schließlich wurde am 2. Dezember 1993 auch ein lediglich von Hamburgs Stadtchef Henning Voscherau abgelehnter Deal zwischen Bundesregierung, Bundesbahn und Länderministern Grundlage eines völlig neuen Systems der Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs vereinbart. Unter der Flagge der Bahnreform segeln in Wahrheit also vier große, eng miteinander verwobene Reformpakete, die alle durch den europäischen Binnenmarkt erzwungen wurden: - eine Betriebsreform der bislang behördenähnlichen Bundes- und Reichsbahn, - eine Deregulierungsreform der Marktordnung für den Schienenverkehr, - eine grundlegende Reform der Zuständigkeit für den öffentlichen Nahverkehr, - eine grundlegende Reform der Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs durch eine Vereinbarung zwischen Bund und Ländern.

Im Gestrüpp der vielfältigen Neuerungen verlieren selbst Fachleute nicht selten die Orientierung. Deshalb einige Wegmarken:

Bahnreform. Die neue Deutsche Bahn AG bleibt vorläufig Staatsunternehmen. Sie wird entschuldet, um die Pensionsverpflichtungen und BeamtInnen erleichtert und mit Kapital für Fahrweginvestitionen ausgestattet. Neun eigenverantwortliche Geschäftsbereiche der DB AG kümmern sich unter anderem um Fahrweg, Personenfernverkehr, Personennahverkehr und um den Güterverkehr. Der Bund bleibt mit einem Eisenbahnbundesamt (EBA) und einem Rest-Bundeseisenbahnvermögen (Rest-EBV) für Aufsicht, Altschulden, Altpensionen und BeamtInnen zuständig, wofür er jährlich knapp 10 Milliarden Mark aus der Mineralölsteuer aufwenden muß.

Deregulierung. Die neuen Freiheiten auf der Schiene (Marktzugang für Dritte) werden sich erst schrittweise bemerkbar machen. Völlig unklar ist bislang beispielsweise, wer wie die Preise für die Benutzung der Trassen festlegt. Die Bahn kann bis heute die Kosten des Fahrwegs nicht einmal selbst errechnen. Auf mittlere Sicht wird diese Deregulierung nach Expertenauffassung zu ähnlichen Ergebnissen führen, wie wir sie gegenwärtig beim Mobilfunk erleben (Staatsbetrieb konkurriert mit Privaten).

Nahverkehrsreform. Ab 1996 sind Bundesländer, Landkreise und Kommunen für den öffentlichen Nahverkehr und für den Schienennahverkehr allein zuständig. Es wird dann auch im Nahverkehr mehr private Anbieter und neue Formen öffentlicher Unternehmen geben (z.B. Landeseisenbahngesellschaften). Neuer Grundsatz: Wer Nahverkehrsleistung vor Ort bestellt, muß sie auch bezahlen.

ÖPNV-Finanzreform: Da der Bund die Zustimmung der Länder für die Bahnreform brauchte, konnten diese ihre Finanzwünsche weitgehend durchsetzen. Wichtigster Erfolg: Die Länder erhalten in Zukunft einen ÖPNV-gebundenen Anteil an der Mineralölsteuer. Die Länder verteilen diese Mittel dann in Eigenregie weiter nach unten. ll

l Florian Marten