: Zentralbosnien: Wer will den Frieden?
Auch in den kroatischen Gebieten um Vitez schwindet die Hoffnung auf ein einheitliches Bosnien / Weihnachtsoffensive der bosnischen Armee militärisch richtig, politisch falsch ■ Aus Split Erich Rathfelder
Die Offensive der bosnischen Regierungstruppen auf die von zentralbosnischen Kroaten bewohnten Gebiete um Vitez, Busovaca und Kiseljak ist gestern, zumindest vorläufig, eingestellt worden. Drei Hilfskonvois der UN- Flüchtlingsorganisation UNHCR ist es deshalb gelungen, an Vitez vorbei nach Zenica und in Richtung Sarajevo zu gelangen. Ebenso konnten zwei Konvois in die beiden Teile Mostars fahren.
Offenbar haben die harschen Proteste des kroatischen Außenministers Granić, der vom Weltsicherheitsrat die Einrichtung von Schutzzonen für die Kroaten Zentralbosniens forderte, zumindest zeitweilig Eindruck auf die bosnischen Militärs gemacht. Er drohte darüber hinaus mit dem Einsatz kroatischer Regierungstruppen zur Unterstützung der kroatisch- bosnischen Truppen HVO in dem umkämpften Gebiet. Radio Zagreb meldete, die bosnischen Truppen würden lediglich reorganisiert werden. Betroffenheit löste in Kroatien die Meldung aus, daß in dem Dorf Krisanevicevo nahe Vitez ein Massaker an kroatischen Zivilisten angerichtet worden sei.
Zweifellos befindet sich die kroatische Bevölkerung Zentralbosniens in einer gefährlichen Lage. Denn den ständigen Mahnungen der bosnischen Regierung zum Trotz, die zivile Bevölkerung nicht anzugreifen, haben sich die Truppen des 3. Korpus der bosnischen Armee verschiedentlich Menschenrechtsverletzungen an der kroatischen Bevölkerung zuschulden kommen lassen. So hat während der Kämpfe im Juni in und um Bugojno die kroatische Bevölkerung die Region verlassen müssen.
Allerdings trug dazu die Strategie der kroatisch-westherzegowinischen Führung wesentlich bei. Denn entgegen den Warnungen von zentralbosnisch-kroatischen Politikern und dem Klerus der katholischen Kirche dieser Region suchte die westherzegowinische Führung seit November letzten Jahres die Konfrontation mit der bosnischen Regierung. Diese antimuslimanische Einstellung zeigte sich besonders deutlich am 15. April 1993, nachdem der Führer der bosnischen Kroaten, Mate Boban, die bosnische Armee ultimativ aufgefordert hatte, sich gemäß des Vance-Owen-Plans den kroatischen Kantonen zugesprochenen Gebieten der kroatischen HVO zu unterstellen. Das Massaker in Ahmici – einem Dorf bei Vitez – an muslimischen Zivilisten, das von HVO-Einheiten am 17. April begangen wurde, war dann das Startzeichen für den heißen Krieg zwischen HVO und Bosnischer Armee.
Mate Boban ist deshalb von zentralbosnisch-kroatischer Seite vorgeworfen worden, dem Schicksal der zentralbosnischen Kroaten gleichgültig gegenüberzustehen. Im Gegensatz zu den meisten westherzegowinischen Kroaten fühlen sich die zentralbosnischen Kroaten nämlich zuerst als Bosnier, und dann erst als katholische Kroaten. Die Symbiose zwischen muslimischer und katholischer Bevölkerung in Zentralbosnien hat eine jahrhundertealte Tradition und wäre ohne die Provokationen von Soldaten der westherzegowinisch geführten HVO wohl auch nicht zerbrochen. Noch im September hatten sowohl der Erzbischof von Sarajevo, Vinco Puljić, wie auch der in Bosnien populäre kroatische Politiker Stjepan Kljuić die bosnische Regierung darin unterstützt, den Genfer Teilungsplan abzulehnen. Die Repräsentanten der zentralbosnischen Kroaten versuchten also, ein unitares Bosnien zu erhalten. Doch jetzt, angesichts der Offensive der bosnischen Armee, scheint sich eine Wende anzubahnen. Schon vor Weihnachten hatte Stjepan Kljuić in einem Interview mit der taz erklärt, daß man Ende Dezember erkennen könne, wer – Tudjman oder Izetbegović – den Frieden wolle oder nicht.
Für die bosnische Armee bergen die von der HVO gehaltenen Enklaven jedoch große militärische Risiken. Angesichts der weitgehend schon etablierten serbisch- kroatischen Koalition könnten die Gebiete zwischen Novi-Travnik und Kiseljak dazu dienen, das restbosnische Gebiet in zwei Teile zu zerschneiden. Militärisch macht die Aktion in der Logik der bosnischen Armee durchaus einen Sinn, als politische Option jedoch führt sie zu einer weiteren Spaltung zwischen zentralbosnischen Kroaten und Muslimanen. Der restbosnische Staat, in dem immer noch der multikulturelle Geist hochgehalten wird, gerät somit in Gefahr, zu einem muslimanischen Staat zu werden. Die Bedrängung der zentralbosnischen kroatischen Bevölkerung könnte deshalb im Interesse einiger muslimanisch-bosnischer Politiker der muslimanischen Partei SDA liegen, die einen muslimanischen Staat anstreben.
Kein Hospital für Ost-Mostar
Während andere Konvois wieder grünes Licht für die Weiterfahrt erhielten, stehen schon seit sechs Monaten 25 Container in der dalmatinischen Hafenstadt Ploce bereit, um in den Ostteil Mostars gebracht zu werden. Die in ihnen enthaltenen Geräte und Materialien reichen für den Aufbau eines kompletten Hospitals aus. Der bislang letzte Versuch, diese Spende südafrikanischer Hilfsorganisationen am Heiligabend nach Ost-Mostar zu bringen, scheiterte am Einspruch des kroatischen Außenministers Granić. Nach Angaben des Vertreters des UNHCR in der westherzegowinischen Stadt Medjugorje soll jedoch bald ein neuer Anlauf für den Transport starten.
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