: Theissen erneut vor Gericht
■ Memminger Prozeß muß erneut aufgerollt werden
Memmingen/Augsburg (taz) – Ein neues Abtreibungsrecht ist seit dem Urteilsspruch des Bundesverfassungsgerichts im Mai 1993 noch nicht gefunden – und dennoch wird der Memminger Prozeß im Januar 1994 noch einmal neu aufgelegt. Fast fünf Jahre ist es her, daß der Frauenarzt Horst Theissen vom Memminger Landgericht zu zweieinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Nach Auffassung der Richter hatte er Abtreibungen vorgenommen, ohne daß eine Notlagenindikation vorlag. Der Bundesgerichtshof (BGH) bestätigte vor zwei Jahren inhaltlich das Urteil, hob allerdings das Strafmaß auf. Die Memminger Richter hatten übersehen, daß insgesamt 37 minder schwere Fälle bereits verjährt waren.
Die 8. Strafkammer des Landgerichts Augsburg, an das die Neuverhandlung verwiesen wurde, muß nun am 11. und 12. Januar erneut verhandeln. Dabei geht es allerdings nur um das Strafmaß, das sich laut BGH zwischen einem Jahr und zweieinhalb Jahren bewegen muß. Das Augsburger Gericht ist außerdem gehalten, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Sachen Paragraph 218 miteinzubeziehen. Daher ist eine genaue Abwägung erforderlich, ob Theissen nach altem Recht oder derzeit gültiger Karlsruher Übergangsregelung besser wegkommt. Denn generell gilt, daß das mildere Gesetz Anwendung zu finden hat.
Nachdem – anders als bei den Memminger Verfahren, die auch vielfach als „Hexenprozesse“ bezeichnet wurden – keine Zeuginnen mehr geladen werden, rechnet die Augsburger Kammer bereits am zweiten Verhandlungstag mit einem Urteil. Horst Theissen arbeitet mittlerweile als Allgemeinmediziner in Hessen. Die Verhandlung gegen ihn und betroffene Frauen von 1988 ist inzwischen Gegenstand eines Fernsehspiels, das vor kurzem preisgekrönt wurde.
Die Staatsanwaltschaft in Memmingen wurde wegen der zahlreichen Verfahren gegen Frauen, die bei Theissen abgetrieben haben, massiv kritisiert. Denn zunächst hatte sie den Betroffenen in Aussicht gestellt, sie könnten sich eine peinliche öffentliche Verhandlung ersparen, wenn sie die Strafbefehle bezahlten. Als dies geschehen war, mußten just diese Frauen als Zeuginnen doch vor Gericht aussagen, weil sei mit der Bezahlung der Strafbefehle auch ihr Zeugnisverweigerungsrecht verloren hatten. Klaus Wittmann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen