■ Tour d'Europe: Anti-Stimmung
So deutlich sich heute Anti-Europäismen im gesamten EU-Gebiet ausbreiten, so unterschiedlich sind sie strukturiert und wohl auch motiviert; und das gilt nicht nur für schon fast altehrwürdige Europa- Skeptiker wie die Grundfundamentalen oder Leute wie Italiens Ex-Kommunisten oder Griechenlands Linke und das Zentrum, die Europa heute vor allem als Tummelplatz für einen neuen Pan-Germanismus sehen. In manchen Gebieten herrscht derzeit überdies Wahlkampf, droht Machtverlust für eingesessene Parteien, die daher krampfhaft nach profilierungsfähigen Themen sind.
Musterbeispiel ist hier Bayern, bei dessen wendigem Landesherrn bis heute nicht klar ist, ob er mit seinen Brüssel-Beleidigungen nur Wählerstimmen rechts von der Mitte fangen – und sich von der Bonner CDU absetzen – will oder tatsächlich langfristig seinen Freistaat aus dem BRD-Gesamt lösen möchte. Letzteres stünde dann in Analogie zu den italienischen „Ligen“, die zunächst auch mit einem massiven Anti-Brüssel-Geschrei begonnen haben, das eigentlich Rom galt, und die mittlerweile die Sezession nicht mehr ausschließen.
In manchen Fällen aber sind es nicht einzelne Provinzen oder Landesteile, die „Europa“ in Frage stellen, sondern ganze Vollmitglieder, und dies auch ohne anstehende Wahlen – so etwa Griechenland.
Ursache ist die Art und Weise, wie sich das Land in der Makedonienfrage von den übrigen EU-Partnern getäuscht fühlt.
In England dagegen herrscht weniger Mißmut wegen erlittener Unbillen als vielmehr das Beharren auf einer in jahrhundertelanger Geschichte erprobten Eigenständigkeit. Selbst die stärksten Europabefürworter zeigen sich für derlei Argumente nicht unempfindlich – das Parteiprogramm der im ganzen EU-positiven Labour- Party ist seit Jahrzehnten ein Musterbeispiel eher unentschiedener Einstellungen.
Vielen Iren dient „Europa“ ausschließlich als eine gewisse Garantie gegenüber Londons Repressionen. Ob sich Europa sonst noch für die Insel rentiert, wird kaum untersucht.
Komplizierter noch wird die Europafrage, wenn man die neuen Aspiranten für EG-Beitritte ansieht, so die Mehrheit der Skandinavier und die „neutralen“ Staaten Mitteleuropas. Hier scheinen sich unter der Europaflagge tatsächlich vor allem Un-Europäer zu sammeln, die eher einer Mode oder einer Not gehorchen denn einer vernünftigen politisch langfristigen Kalkulation. Da brauchte man nur die Kampagne für und gegen Europa bei den Volksabstimmungen in der Schweiz anzusehen – außer dem Argument „Beitreten, ehe es zu spät ist“ fanden die EU-Befürworter kaum Brauchbares für ihren Antrag, und in konkreten Diskussionen räumten sie selbst eine solche Menge Nachteile ein, daß die Ablehnung durch die Bevölkerung geradezu zwingend war. Umgekehrt segeln aber auch Demagogen verbal gegen Europa an, deren Programm bei Licht besehen eher proeuropäisch im Sinne schlimmster EU-Beschlüsse ist – Österreichs Haider ist ein Beispiel dafür.W. R.
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