: Pepito lebt hier nicht mehr
■ Die Kubaner scheinen mittlerweile sogar ihren politischen Alltagshumor verloren zu haben
Es steht schlecht um Pepito. Pepito ist die Verkleinerungsform von Pepe, und Pepe werden auf Kuba (wie überall, wo Spanisch gesprochen wird) fast alle gerufen, die auf den Namen José getauft wurden. Und das sind viele. Pepito heißt denn auch der klassische Protagonist kubanischer Witze, und er ist eine Art Personifizierung des kubanischen Nationalcharakters, der Respektlosigkeit und des Alltagshumors. Pepito redet mit Fidel Castro genauso wie mit Leonid Breschnew, Michail Gorbatschow, Boris Jelzin, Ronald Reagan, George Bush, Bill Clinton oder Gott – wie es gerade kommt. Nach drei Jahrzehnten haben sich jedoch Fidel Castro und Gott als die einzigen Gesprächspartner von Bestand erwiesen.
In den Geschichten ist Pepito immer so mutig, wie sich diejenigen zu sein fürchten, die sich in ihm verkörpert sehen. Er ist beispielsweise der einzige, der sich traut, Fidel Castro ins Gesicht zu sagen, daß die Leute ihn „die Stewardeß“ nennen. Und als Castro fragt, warum, erinnert Pepito ihn an die Stewardessen, die den Passagieren ewig versichern, daß kein Anlaß zur Sorge besteht – während das Flugzeug bereits im Sturzflug ist, weil das Benzin alle oder ein Motor ausgefallen ist.
Der Humor ist auf Kuba ein Ventil für den kollektiven psychischen Druck, der sich aufstaut, weil es keine Formen zulässiger sozialer Auseinandersetzung gibt, weder in der völlig manipulierten Propaganda des Staates noch in dessen „demokratischsten politischen Strukturen der Welt“. Die Tradition jedoch, mittels auf die Aktualität bezogener Witze das politische Unbehagen kathartisch zu überwinden, läßt sich auf Kuba bis in die Kolonialzeit zurückverfolgen. Seit Anfang dieses Jahrhunderts haben sich Wissenschaftler immer wieder mit diesem Thema beschäftigt und in ihren Aufsätzen auf den konformistischen Zug dieser vermeintlichen Nationaltugend hingewiesen.
Es gibt unzählige Witze mit Pepito in der Hauptrolle. Und es fehlen auch nicht die, in denen er ein tragisches Ende nimmt. So beispielsweise in der Geschichte, als sowohl Gorbatschow wie Bush einmal heimlich nach Havanna geflogen waren, um sich von einem unfehlbaren Babalao (einem Priester der afro-kubanischen Yorubá- Religion) die Zukunft ihrer Regierungen prophezeien zu lassen. Als die beiden hören, daß sie das neue Jahr nicht mehr erleben werden, fallen sie auf der Stelle tot um. Als Castro davon erfährt, schickt er, vorsichtig, Pepito zum Babalao, um diesen für sich fragen zu lassen. „Sage Fidel Castro, daß er keine Angst zu haben braucht, persönlich zu kommen“, versucht ihn der Babalao zu beruhigen: „Fidel wird noch für viele, viele Jahre an der Macht sein.“ Daraufhin fällt natürlich Pepito auf der Stelle tot um.
Vor 1959, dem Jahr, in dem die kubanische Revolution triumphierte, gab es zahlreiche Medien, über die die jeweils aktuellen politischen Witze Verbreitung fanden. Nichts deutet jedoch darauf hin, daß sie direkten Einfluß auf den Kampf gegen Korruption, Wahlbetrug und die anderen Mißstände der damaligen Zeit gehabt hätten. Nach dem Machtwechsel bestand für viele eine der dringendsten Aufgaben der Revolution darin, die systematische Anklage gegen die Satire, wie sie in den Humor- Zeitschriften, dem Volkstheater und einigen Radiostationen betrieben wurde, in praktische Politik umzusetzen. Doch im Krieg gegen die angeprangerten Laster waren die ersten Opfer die Medien, die sie anprangerten. Je mehr die öffentlichen Räume für den politischen Witz beschnitten wurden, desto intensiver, so scheint es, wurde er produziert und zelebriert. Das ging so weit, daß es zeitweilig seltsam gewesen wäre, an einem Wochenende nicht zwei, drei neue Witze „über die Regierung“ zu hören, darunter immer auch welche mit Pepito.
In jüngster Zeit ist das seltener geworden. „Die Situation hat sich derartig verschlechtert“, sagen manche, „daß es nicht einmal mehr etwas zu lachen gibt.“ Mit der dramatischen wirtschaftlichen Lage zeigt offenbar auch der sprichwörtliche Humor der Kubaner Erschöpfungszeichen. Heute werden vor allem alte Witze wiederholt und lediglich den neuen Umständen angepaßt, wenn es darum geht, in der Einkaufsschlange, beim endlosen Warten auf den Omnibus oder an irgendeinem anderen der zahllosen Orte, an denen die Mehrheit der Kubaner sich heute Tag für Tag zwischen Zorn und Nutzlosigkeit aufreibt, die seelische Depression erträglicher zu machen. Dem Monolog der Macht setzen die Kubaner einen Monolog des Volkes entgegen, dem es an originellen Einfällen mangelt, weil auf der Ebene des alltäglichen Lebens jeder Tag nur ein schlechtes Plagiat des vorangegangenen zu sein scheint. Es gibt kaum noch öffentliche Räume oder Treffpunkte, zu denen man mit der nationalen Währung Zutritt hätte. Und die unlängst erfolgte Legalisierung des Dollar öffnete zwar theoretisch die Türen der Touristenzentren, doch in der Praxis gibt es nur wenige Kubaner, die Dollars für etwas anderes als Nahrungsmittel, Seife oder andere dringend benötigte Alltagsgüter ausgeben können. Kino und Theater funktionieren nur noch, wenn die täglichen Stromsperren es erlauben, und das öffentliche Transportwesen existiert fast nicht mehr. Den alltäglichen Austausch in Momenten der Muße – eben jenen Momenten, die dazu einladen, Geschichten zu erzählen und zu erfinden – findet man außerhalb von fest geschlossenen Freundeskreisen kaum noch. Es gibt keine neuen Geschichten von Pepito, heißt es, weil Pepito es angesichts der Umstände vorgezogen hat, „zu gehen“; das heißt, er ist nicht tot, sondern ausgewandert. Das einzig Ermunternde daran ist, daß sich die Leute diese bestürzende Nachricht als Witz erzählen. Florentino Rodríguez
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