Wand und Boden
: Wer hat Angst vor dem grenzenlosen Bild?

■ Kunst in Berlin jetzt: Kveta Pacovská, Hanne Darboven und sechs Maler aus Berlin, Tel Aviv, Jerusalem und Dresden

Auch die freien Arbeiten von Kveta Pacovská zeichnen sich neben ihren als Auftragsarbeiten erstellten Bildern, Grafiken und Papierarbeiten durch einen Zwang zur Ordnung, zur regelmäßigen Gliederung, zur Binnenrahmung aus. Kveta Pacovská, derzeit Gastprofessorin an der HdK, ist mit dem Hans-Christian-Andersen-Preis hoch ausgezeichnete Kinderbuchillustratorin. Das Bilderbuch ist die erste Galerie, die ein Kind besucht, so ein oft zitierter Satz von ihr. Entsprechend sieht sie die Umsetzung der Bilder als eine räumliche Aufgabe und sich selbst als Buch-Architektin. Ihr Buch hat zwar noch Seiten, aber diese bieten in der Tat Raum für ungewöhnliche haptische Erfahrungen. Sie sind ein dreidimensionales „Papier Paradies“, wie der Titel einer großformatigen Buch-Hommage an Kurt Schwitters lautet. „...aus dem Schwitters-Brief: Wir spielen, bis uns der Tod abholt“, liest man denn auch auf weißen, mittig mit Paketschnur umwickelten Papierquadraten, die in regelmäßiger Anordnung die Galeriewand zieren.

Ein andermal ist das Wort „Paradies“ auf ihnen zu lesen, und die Schnüre sind abgewickelt. Zu einem dicken Zopf gedreht, purzeln jetzt an ihrem Ende die Papierquadrate in wilder Fülle durcheinander. Da sich die Schriftform aber auf fast allen Quadraten wiederholt, wird die Unordnung auch schon wieder in Regelmaß aufgefangen. Wie die Strenge des schwarzen Quadrats auf weißem Grund bei „Silence I“, Acryl auf Leinwand, 1993, durch einen verspielten rosaroten Stoffwinkel in der unteren rechten Ecke negiert wird. Auch bei ihren anderen Tafelbildern, etwa „A Poem“, fallen die Umrandungen innerhalb der Bildfläche auf, gerade als ob Kveta Pacovská Angst hätte, das Bild sei grenzenlos. Ihre Anstrengung, eine bildimmanente Spannung zwischen offenem Formenreichtum und reduktiver Formregularität aufzubauen, verliert (sich) in der Überschaubarkeit.

„Buch und Raum“, bis 30.1., Di.–So. 11.–18 Uhr. Haus am Lützowplatz, Lützowplatz 9, Tiergarten.

In grenzenlosem und strengem Gleichmaß wird die wahnwitzige Reihung der Kalendertage rücksichtslos vorgetragen: Hanne Darboven schreibt die Zeit. Auf gerastertem Papier. Zwölf Monate à fünfzehn Blätter sind an die Wände der Galerie Busche gruppiert. Vom ersten bis zum zwölften eines Monats schreibt sie das Datum, zieht seine Quersumme und läßt dieser Ziffer eine horizontale Wellenlinie folgen. Der restliche Monat wird nur noch mit Datum und Quersumme notiert, der Wert des letzten Tages des Monats noch einmal in eine waagerechte Linie übersetzt. Über jedem Monat hängt ein Foto, sein Motiv ist dreimal variiert und zeigt ein Schreibpult, mit dem die Firma Rotring Schaufensterwerbung betreibt.

Zehn „Art-Pens“ verschiedener Federstärken prangen auf dem Pult, auf das Hanne Darboven den Kriegsroman „Kreuzfahrt zur Hölle“ gelegt hat; so steht das Pult auch ganz real im Raum, wie in den Sixties der Stuhl von Joseph Kosuth. Auf den Fotos ist es einmal mit geschlossenem sowie einmal mit geöffnetem Buchdeckel zu sehen, einmal ist es leer. Das Buch ist das Geschenk eines Freundes, aber, so wurde es von der Künstlerin vermerkt: „lese es nicht / hinter mir / ende –– weiter“.

Die intime Geste verdeutlicht noch einmal, wie entschieden Hanne Darboven seit rund 25 Jahren ihre völlig subjektive (Lebens-)Zeit schreibt. Zwischen den fast mystischen Zahlenreihungen und den Eintragungen in den Terminkalender, die etwa eine Geschäftsfrau vornimmt, liegt die denkbar weiteste Entfernung. Darbovens Kalender ist nicht die neuzeitliche „Universalmaschine“ zur Durchsetzung subjektiver Zeit, zur Vergleichzeitigung aller gesellschaftlichen Handlungen. In ihrer minimalistischen Konzeptkunst kommt soziale Zeitstrukturierung nicht vor. Zwischen der anachronistischen Darbovenschen Zeitschrift und dem komplexen Medienmix (Computer, Satellit, Terminkalender mit eingeschlossenem Managerkurs zu seiner Handhabung u.v.a.m.) mit seinen ganz eigenen Zeitverläufen und -ballungen, der heute selbst die ganz privaten zwölf Monate strukturiert, ist kein Weg mehr. Ihre radikal subjektive, kritische Distanzierung zum Zeitgeist endet in der Geisterstunde.

Bis 22.1., Mi.–Fr. 10.–18 Uhr; Sa. 11.–13 Uhr, Bundesallee 32, Wilmersdorf.

Ist die Leitfigur im Hintergrund der Arbeiten von Kveta Pacovská der Konstruktivismus, Aufhebung des Materials in Optik und der Form in Geometrie, dann setzen die sechs jungen Maler aus Berlin — Tel Aviv — Jerusalem — Dresden auf die Parallelfigur der Tafelbildmalerei in der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts, den Expressionismus. In der Galerie Parterre im Kulturamt Prenzlauer Berg verleiht der in Jerusalem lebende Asaf Ben- Zevi seinen zwölf Blättern „night light“ (1992/93) zudem einen naturalistischen Touch. Die Bilder, in eine dunklere untere und eine hellere obere Bildhälfte geteilt, zeigen einen Horizont. Die Tradition der anderen an dieser Ausstellung Beteiligten liegt ganz und gar in der Bearbeitung der Oberfläche. Tsibi Geva aus Tel Aviv findet im abstrakten Muster palästinensischer Kopftücher und Bodenmosaike seinen malerischen Gestus. Die dominanten schwarzen Gitterlinien überlagern in dem „Keffiyeh“ betitelten Bilderzyklus fein abgestufte Farbquadrate; der weiß bis bräunlich akzentuierte Malgrund hält dabei noch der Härte des beladenen Ornaments stand.

Ryoram Merose betont den Umgang mit schwarzen Linien, die verschlungene Wege durch die unregelmäßigen, grauen und weißen Farbfelder der Leinwand bahnen. Am Ende stößt sie auf ein rotes Herz. Aus einem gelben Farbfeld schwitzt der schwarze Bitumen förmlich heraus, der graue Bildgrund liegt auf der Leinwand wie eine rissige, borkige Rinde. Als „ohne Titel“ (1992) klassifiziert, bewegen sich auch die Bilder von Petra Kastens im Rahmen der Vermutungen über das Tafelbild. Imposantes, grünstichiges Gelb, das auf der schwarzen unteren Bildhälfte aufbaut, zeigt Dorit Bearachs „Gelb Sucht“ (1993), es wird in einem schwarzen Kreis wiederum mit rotem Herzfleck eingefangen. Man könnte spekulieren, ob die jungen israelischen Künstler mehr Alltagswirklichkeit bearbeiten als ihre deutschen Kollegen, man kann es aber auch lassen.

Bis 14.1., Mi.–So. 14–20 Uhr, Dimitroffstraße 101, Prenzlauer Berg. Brigitte Werneburg