: Wohnungsbau ohne finanziellen Boden
Die aufgelaufenen Kosten für den Wohnungsbau liegen bei 39,6 Milliarden Mark / Pieroth will Förderstruktur ändern, Nagel sträubt sich / Konflikt wird Mitte Januar weitergehen ■ Von Dieter Rulff
Zum Jahreswechsel schlug Finanzsenator Elmar Pieroth (CDU) Alarm. „Die Wohnungsbau-Schulden drohen zu explodieren“, warnte er in der Welt und verwies auf 39,6 Milliarden Mark, die 1993 zur Finanzierung des Wohnungsbau in Berlin aufgewendet wurden. Die Zeitung addierte diese Summe flugs zu den aufgelaufenen Schulden des Berliner Landeshaushaltes hinzu, errechnete auf diese Weise eine „reale Schuldenlast der Stadt“ von insgesamt 70,4 Milliarden Mark und bilanzierte: „Berlin vor dem Finanz-Kollaps“.
Doch der prognostizierte Zusammenbruch wird ausbleiben, denn beim Addieren wurden, wie man in der Finanzverwaltung einräumt, Äpfel mit Birnen verglichen. Denn während es sich beim Loch im Landeshaushalt um reale Schulden handelt, stehen in der Bilanz der Wohnungsbauförderung den Kreditmitteln die gebauten Wohnungen gegenüber – und die verkörpern einen erheblichen Wert.
Doch auch wenn die Situation nicht so dramatisch ist, wie es auf den ersten Blick erscheint, hat Pieroth Anlaß zum Ärger. Zum einen schlagen in seinem Haushalt die Zinsen für Wohnungsbaukreditmittel zu Buche. 2,5 Milliarden Mark werden es im kommenden Jahr sein, bis 1997 wird die Zahl auf 3,3 Milliarden Mark anwachsen. Dadurch sieht der Finanzsenator seine Bemühungen, die Nettoneuverschuldung von 7,5 Milliarden Mark im Jahr 1994 auf 3,8 Milliarden Mark im Jahr 1997 zu reduzieren, gefährdet. Zum anderen ist ihm dies Ausdruck eines strukturellen Problems. Der öffentlich geförderte Wohnungsbau ist seiner Ansicht nach zu teuer.
Förderwege im öffentlichen Wohnungsbau
Mit 700.000 Mark finanziert die öffentliche Hand jede Wohnung im 1. Förderweg, dem sogenannten sozialen Wohnungsbau, mit „unter 300.000“ gibt der Staatssekretär der Bauverwaltung, Frank Bielka, die entsprechenden Kosten des 2. Förderweges an. Die Differenz begründet sich vor allem in der Miete, die für die Wohnung jeweils zu zahlen ist. Im ersten Förderweg wird die Differenz zwischen der „Bewilligungsmiete“ von 34 Mark pro Quadratmeter und der tatsächlich zu zahlenden Kaltmiete von 6 Mark plus Betriebskosten subventioniert. Einen Berechtigungsschein erhält, wer als Alleinstehender maximal über 26.000 Mark und als Paar über 38.000 Mark bereinigtes Jahresbruttoeinkommen verfügt.
Beim 2. Förderweg liegt der Anteil des Mieters an den Kosten bei 9 bis 18 Mark kalt, entsprechend geringer sind die öffentlichen Zuschüsse. Bezugsberechtigt ist hier, wer maximal das Doppelte eines Sozialmieters verdient.
Aufgrund solcher Kostenerwägungen und um die versprochene Gesamtzahl von 80.000 Neubauwohnungen in dieser Legislaturperiode noch zu erreichen, hat Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) die Bauprogramme für 1994 bereits umgeschichtet. Statt 7.000 werden nur noch 5.500 Wohnungen im 1. Förderweg errichtet, dafür steigt ihre Zahl im 2. Förderweg von 6.000 auf 9.500.
Das Bündnis 90/ Grüne erkennt darin eine „unsoziale Prioritätensetzung“. Beim 2. Förderweg streue der Senat Geld unter Leute, „die es wahrlich nicht nötig haben“, da nur 10 Prozent der Berliner ein so hohes Einkommen haben, daß sie nicht in eine solche Wohnung ziehen können. Dagegen bestehe nach Wohnungen im sozialen Wohnungsbau nach wie vor eine große Nachfrage. Deshalb sollen nach dem Willen der Grünen in diesem Bereich die Fördergelder konzentriert und vor allem bei den Eigentumsmaßnahmen reduziert werden.
Pieroth fordert Konzept von Bausenator Nagel
Pieroth hingegen geht Nagels Umschichtung bei den Förderkategorien nicht weit genug. Würden die Zahlen fortgeschrieben, so rechnet er vor, müsse 1997 mit einer Belastung für den Wohnungsbau von 61 Milliarden Mark gerechnet werden, und mit jeder errichteten Sozialwohnung werde zudem die Notwendigkeit der Subventionierung auf 25 Jahre festgeschrieben. Um diesen Kostendruck abzuwälzen, sei „ein umfassendes Konzept des Bausenators überfällig“. Die Baukosten müßten gesenkt, der Ausstattungsstandard der Wohnungen reduziert werden und verstärkt privates Kapital aktiviert werden, indem die baupolitischen Instrumente stärker auf Eigentumsförderung ausgerichtet werden.
Ein Programm, mit dem öffentlicher Boden verbilligt an Häuslebauer abgegeben werden soll, hat Pieroth bereits im Sommer angekündigt. Bislang, so spöttelt Bielka, habe er wenig von der Umsetzung gesehen. Der Baustaatssekretär sieht „keinen Anlaß zur Dramatik“. Man könne schließlich nicht eine Verdoppelung der Wohnungsbauzahlen beschließen und erwarten, daß die Kosten gleichbleiben. Zudem müßte Pieroth wissen, daß die Ausstattungsstandards bereits gesenkt worden seien.
So wurden sowohl die geförderte Fläche reduziert als auch die Mittel für Einbauküchen gestrichen. Zudem verweist Bielka auf die „sensationelle Entwicklung“ bei den Preisen im Bausektor. So sei die Kostenmiete 1993 um 15 Prozent gesunken. Er hofft, daß diese „echte Umkehr“ sich fortsetzt. Die Auseinandersetzungen zwischen Bau- und Finanzverwaltung um die Ausrichtung der Wohnungsbauförderung werden Mitte Januar fortgesetzt. Dann werden im Finanzkabinett des Senats die Eckdaten des Doppelhaushaltes 1995/1996 beraten.
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