: Von A bis Z durchgesehen
■ Das Fernsehjahr –93 - von unserem Herrn Dittmeyer akkurat geordnet und säuberlich wegsortiert
Anregungen – Was Balzac ins Grab gebracht hat, kann für „Aspekte“ nicht schlecht sein: Kaffee. Ergo läßt man sich, vollends im Banne der braunen Bohne, nunmehr von Nescafé sponsern. Wohl bekomm's.
Beleidigte Leberwurst – RTLs Dr. Thoma muß allweil tüchtig Schimpfe ein- und wegstecken, tritt aber unverdrossen und unvermindert zutraulich bei jeder Konferenz, Tagung oder Podiumsdiskussion an, neue Keßheiten zu verbreiten. Ein Mann mit Unterhaltungswert. Erhebt indes jemand kritisch, aber mit Bedacht die Stimme wider die ARD, schon sind die Kollegen von der Vollversorgung dermaßen stinkig, daß es im ganzen Funkhaus nach Darmwind müffelt. Hach, da wird dann mit Furor statuiert, wer wo seinen Meister findet.
Couchpotato's Chips & Tips – Gern zitiert der Spiegel die taz und vergißt im Überschwang auch schon mal die Quellenangabe. Abermals bekundete er seine unverbrüchliche Zuneigung, als er so ungeniert wie plump das wochenendliche ultimative Fernsehfanpostulat der taz-Medienseite nachahmte. Und vermutlich glauben die Spiegelanten noch immer, keiner hätt's gemerkt.
Der große Preis – Lachnummer des Jahres. Wie wäre die Affäre wohl verlaufen, wenn plangemäß Sabine Sauer das Ruder übernommen hätte? (siehe auch: Reich-Ranicki)
Eins plus – Einmal schnipp und einmal schnapp, ruck zuck ist das Kabel ab.
Fußbroichs, die – Gibt es am Ende gar doch noch richtiges Leben im „valschen“1 (R. Gernhardt)?
Gottschalk – Programmatisch: Reich-Ranicki trifft Teresa Orlowski. Mehr ist nicht dran. Letterman bleibt the better man, und Jay Leno kriegt Standing Ovations. So was gibt's bei Gottschalk auch, aber diese Metapher zu präzisieren, würde uns ins Reich der Zote führen. Schnell weiter im Text.
Heiterkeitserfolg – Das muß in der Jahresbilanz noch einmal aufgerechnet werden: ZDF-Intendant Prof. Dieter Stolte definierte das traditionsreiche Fernsehgenre Sitcom gegenüber der Zeitschrift TV Guide altklug als die „fieberhafte Suche nach einem Komiker, bei dem das Publikum trotzdem lacht“. Nicht minder profund buchstabieren wir ZDF ab sofort: „Zerebral destabilisiertes Flachfernsehen“.
Indizierte Filme – ... soll es gemäß einer Verlautbarung der FDP-Bildungspolitikexpertin Margret Funke-Schmitt-Rink zuhauf und quasi pausenlos zu sehen geben im deutschen Fernsehen. Wir gieren und harren und gucken uns die Augen blau – jedoch nix is'. Frau Funke-Schmitt-Rink, bitte helfen Sie: Wo laufen sie denn? Und wann? Auch haben wollen!!
Jubiläum – Stand nicht letztens auf den Leserbriefseiten dieser vielseitig engagierten Gazette die Frage, wo die Filme über die Opfer ausländerfeindlicher Attacken bleiben? Da können wir guten Gewissens auf Kanal 4 verweisen, den piesackenden David in der Schuhsohle Goliaths. 4 wurde 5 in diesem Jahr – Gratulation.
Kanalreinigung – Satire sieht die öffentlich-rechtliche Grundversorgung nicht vor – „Kaos“ kann nicht geduldet, Richard Rogler muß abgesagt, Matthias Deutschmann gefeuert werden, um Schaden vom gesamtdeutschen Volke fernzuhalten. Selbiges bedankt sich höchst untertänigst bei den Herren der Fürsten- und Funkhäuser für so viel Güte und Fürsorge.
Lippert, Wolfgang – Leidens- Genosse, wenn nicht gar Schmerzensmann des Jahres. Aber mit Abstand.
MTV – Trotz verschärfter Konkurrenz werden die Videoclipper auf ihre alten Tage luschig. Fahrlässig titelten sie Quincy Jones' „Back On The Block“ um in „Back To The Black“. Vorsatz zum neuen Jahr: Paßt bloß auf!
Nabelschau – Die Angelegenheit duldete keinen Aufschub. Programmchef Knut Föckler föckelte nicht lange und meldete eilig: „Sat.1 reduziert Erotik-Programm.“ Davon unverblendet offenbart uns schon ein flüchtiger Streifblick, daß Sat.1 die einsamen Freunde dieses Genres immer noch am umfassendsten bedient – und sei es notfalls mit der 167. Wiederholung des „Schulmädchenreports“.
Originalton – Den Versprecher des Jahres lieferte Klaus Bednarz, als er im Anschluß an die Ausstrahlung des Films „Stau – Jetzt geht's los“ zur Diskussion ansetzte und seine Gäste sinnig auf dem „Mainzer Leichenberg“ statt Lerchenberg willkommen hieß. Oha.
Penetranz – Wenn sich mehrere Produzenten derselben Branche zusammentun, einen Fernsehsender gründen und dort unausgesetzt für ihre Produkte werben, dann heißt das entweder Dauerwerbesendung. Oder Viva – der Musikkanal. Oberclever ist die Firma Charme & Anmut (C & A), die den Videoclip zu „Anytime and Anywhere“ in leicht veränderter Schnittfassung auch gleich als Werbespot einsetzt. Respektive umgekehrt.
Quote – Aus dem Notizbuch des taz-Kritikers: „Quotentanz = Totentanz?“ – Späterer Nachtrag: „Noch mal überdenken!“
Reich-Ranicki – Warum wurde er eigentlich nicht als Moderator für „Der große Preis“ berufen? Der Unfehlbare hätte die Aufgabe mit leichtem Armwedeln und gefletschten Zähnen locker gemeistert. Schließlich ist das „Literarische Quartett“ nichts anderes als „Der große Preis“ mit Themenbindung.
Sat.1 – „Mal so richtig abschalten... Das haben wir uns verdient.“ So oder ähnlich muß ein gewitzter Anonymus gedacht haben, der frohgemut und hinterrücks den Haupthebel umlegte, die irreguläre Sendepause zuverlässig herbeizuführen.
TV-Movies – Werden insbesondere bei den Öffentlich-Rechtlichen selten als solche ausgewiesen. Dabei gilt es doch längst nicht mehr als schändlich, daß sich das Fernsehen seine Filme selber dreht.
Unbedarft – Noch dem letzten Camcorderamateur dürfte klar sein, daß gedruckte Kleinanzeigen in einem Laufbildmedium allenfalls inferioren Unterhaltungswert bieten. Dessenungeachtet baute das ZDF mit „Chiffre“ gleich eine ganze Showserie auf Papier. Und brach prompt kläglich ein.
Vox – Vox, wer hat den Sinn gestohlen? So vielversprechend war der Beginn, so flügellahm die Fortführung, daß ein Etikettenwechsel angebracht erscheint. Unser Vorschlag: RTL 3.
Willemsen, Roger – Warum eigentlich wird ein Mensch, der nur, wie Millionen andere Arbeitnehmer auch, seinen Job halbwegs ordentlich und bestimmungsgemäß verrichtet, allerwärts mit schon irrational erscheinender Emphase gelobt und mit sämtlichem Fernsehpreis-Nippes dieser Republik überschüttet?
Xtended running time – Da lassen die Privatfuzzis ihre Filme langsamer laufen, um mehr Werbespots unterbringen zu können, hacken aber in Barbarenmanier den Nachspann ab. So bringt uns beispielsweise Pro 7 ohn' Erbarmen um die vergnüglichsten Szenen der Jackie-Chan-Filme. Uns zum Pläsier, ihnen zur Strafe bedienen wir uns fürderhin lieber in der Videothek und gucken 1994 überhaupt keine Werbespots mehr. Basta.
Yggdrasil – Könnte eine Fernsehantenne gewesen sein. Daß Däniken darauf noch nicht gekommen ist...
Zumutung – Klaus Bresser im November im ZDF-Pressedienst: „Wir wollen dem Zuschauer etwas zumuten.“ Wir empfanden ja bereits „Forsthaus Falkenau“ als arge, nein: ärgste Zumutung, als ragendes Beispiel progredienter Programmkorruption. Muß also auch nicht sein.
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