piwik no script img

Grundstücksmonopoly um „Torflinsen“

■ Eigentümer liebt Urstromtal, Altbau auf Modder, Abriß und Neubau

„Eure Ordnung ist auf Sand gebaut“, schmetterte vor 75 Jahren Rosa Luxemburg den Berliner „Schergen“ entgegen, ohne freilich ergänzend zu drohen: „Eure Häuser sind auf Torf gebaut.“ Die Mieter der Belziger Straße 53c in Schöneberg wissen es: Im Berliner Urstromtal gibt es zwar auch Talsande und nacheiszeitliche Dünen, genausogut aber Schlickablagerungen, Altwässer, Bruchwälder und Niederungsmoore. Entsprechend sind die Mietskasernen, ähnlich den Patrizierhäusern in Venedig, nichts als schnöde Pfahlbauten. Und wehe, der Pfahl ist zu kurz oder, wie in der Belziger Straße 53c, ganz und gar absent.

Seit der Sanierung im Jahre 1954 fehlt dem 1910 auf einer „Torflinse“ oder, O-Ton Bauverwaltung, „Modder“ errichteten Gebäude ein Pfahl direkt unter der Eingangstür. Der Eigentümer, Axel Gutzeit, hatte die Belziger Straße 1988 in Kenntnis der Grund- und Bodenprobleme für weniger als 900.000 Mark erworben. Doch statt, wie von den MieterInnen gefordert, den fehlenden Pfahl zu ersetzen und die restlichen neu zu gründen, setzte er auf Abriß und Neubau. Der zunächst konfliktfreudige Amtsschimmel verweigerte zwar die Abrißgenehmigung, versank dann aber im Behördenschlamm: Die von den Mietern verlangte Verpflichtung des Eigentümers zur Sanierung jedenfalls unterblieb. Nun droht die Wohnungslosigkeit: Bis zum 25. April dieses Jahres müssen sie, so die Schöneberger Bauaufsicht, das Gebäude geräumt haben. Wegen Baugefährdung.

Daß die Belziger Straße auf einer Torflinse steht, war nicht erst seit der Sanierung 1954 bekannt, sondern ist im Bezirksamt ohne weiteres aus den dortigen Baugrundkarten zu erfahren. Darin ist, wie die taz erfuhr, nicht nur die genaue Ausdehnung der Torflinse, sondern auch die „Tiefe des tragfähigen Baugrunds“ verzeichnet. Dabei gilt: Je tiefer die Tragfähigkeit, desto tiefer müssen die Pfähle gegründet werden; eine Weisheit, die man im ausgehenden 19. Jahrhundert offenbar nicht immer beherzigte. So mußte bereits knapp hundert Jahre später das Ensemble des „nassen Dreiecks“ – dort, wo die Schloßstraße auf das gleichnamige Gebäude trifft – wegen Baufälligkeit abgerissen werden. Beim anschließenden Neubau sank, wie es aus der Charlottenburger Sanierungsverwaltung heißt, gar ein zwölf Meter langer Stützpfahl auf den Moorboden. Ergebnis: Selbst Stararchitekt Hinrich Baller mußte mit einem für Berliner Verhältnisse ungewöhnlichen Pfahl antreten: Er maß 24 Meter.

Im Gegensatz zu den Hängen des Teltow und Barnim ist die Schloßstraße in Charlottenburg neben der alten Spree in Köpenick, dem Treptower Park, dem Großen Tiergarten und der „faulen Spree“ am Spandauer Rohrdamm einer der hot spots der Berliner Torflinsenproblematik. Kein Wunder also, daß sich auch hier Modder- Spezi Axel Gutzeit eingekauft hat. Das Gebäude in der Schloßstraße 21 ist bereits abgerissen, der Neubau im März bezugsfertig. Im Gegensatz freilich zu Schöneberg war die Abrißgenehmigung hier kein Problem. Eher schon die ordnungsgemäße Ausführung: So hatte laut Bezirksamt der Abriß in der benachbarten Schloßstraße 20 eine Senkung des Grundwassers, Risse im Giebel sowie eine Sanierung auf Kosten Gutzeits zur Folge. Ähnliche Probleme gab es auch in Moabit. Dem vom damaligen Eigentümer Gutzeit in die Wege geleiteten Abriß der Lübecker Straße 31 und 32 will nun auch der Nachbareigentümer Folge leisten. Torflinsenspekulanten sind kommunikativ.

In der Belziger Straße indes ist das letzte Wort nicht gesprochen: „Noch“, sagt eine Mieterin, „hat Gutzeit keine Abrißgenehmigung.“ Und wenn er die bekommt, hält das Bezirksamt den Daumen auf das Grundstück. Geplant wird im Rathaus Schöneberg eine Turnhalle nebst Erweiterung der anliegenden Schule. Der Bebauungsplan ist bereits erstellt, die Abfindung für Gutzeit soll eine Million Mark betragen. „Damit hätte er zwar nicht allzuviel Gewinn gemacht“, klagt die Mieterin und darüber, daß es im Spannungsfeld zwischen Bezirk und Spekulant nicht einfach sei, sich durchzusetzen. Der Mieterverein rät seinen Mitgliedern in der Belziger Straße nun, zivilrechtlich die Instandsetzung durch Gutzeit einzufordern. Zumindest, was die Pfählung des Berliner Untergrunds betrifft, hätte Berlin eine neue Gründerzeit bitter nötig. Uwe Rada

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen