: Selbstzerfleischungslust
■ Johann Kresniks „Francis Bacon“ in Stuttgart: Existentialtanz für abtrünnige Christen und andere Liebende
Ein keuchendes, hyperventilierendes Etwas schiebt sich in den Raum: ein Asthmatiker mit blutigen Füßen, in ein Laken gehüllt, ein Toter, ein Neugeborener. Wo sind wir? Bläuliches Neon, eine kalte Bühnenfläche. Drei Luken führen durch die Wand nach hinten weg, Falltüren ins Unbewußte – sie sehen nach kurzer Zeit verdammt wie Klinikbetten aus.
Bei Johann Kresnik ist die Welt schon immer ein Schlachthaus gewesen, von „Ulrike Marie Meinhof“ bis „Frieda Kahlo“, von „Marat“ bis „Mars“. Das Erstaunliche an dieser neuen Produktion ist weniger die schon erwartete Gewalttat als Kresniks Fähigkeit, sich von den nur bildnerischen Arrangements zu lösen und sich wieder mehr auf das Tänzerische zu konzentrieren. Kresnik erklärt den Maler Francis Bacon – und das liegt ja auch nahe – aus der Verzerrung heraus, aus dem Drehmoment: angstgeschüttelte Menschlein, brutale, kalte, animalische Sexualität, deformierte Beziehungen. Eine Art Hardcore-Beckett: Wir sind schwer depressiv und vögeln wild drauflos. Liebe als Ringkampf. Leben als Sammeln von Verletzungen, als sich summierende Mißgestaltung; wer Bacons Bilder kennt, vom schreienden Papst bis zur Kreuzigung, der kennt auch Kresniks Inszenierung, die sich an diesen Vorgaben (ja, wie an einem Kreuzweg!) entlanghangelt.
Kresnik hat den Tänzer Ismael Ivo als Protagonisten gewonnen – eine folgenschwere Entscheidung. Denn Ivo ist zwar ein grandioser Techniker, aber eben auch ein Narziß von hohen Graden. Das heißt: Noch die größte Melancholie ist bei ihm schön und rund, aus dem Becken, „aus der Mitte“ heraus getanzt. Ivo ist nicht ganz so nervend wie der Schauspieler Klaus Maria Brandauer, aber eben ein Kurläufer, eine Belastung für jeden Regisseur. Den Gegenpol bildet der Finne Tero Saarinen, der das Gefühl gewalttätiger Verlorenheit weitaus besser nach außen bringt, der gefallene, wüste Engel, der geschlagene Schläger.
Das Triebhaft-Kannibalische der Liebe, die bei Bacon ja sowieso wie der Tod aussieht, wird bei Ivo und Kresnik nun nicht zur Diagnose einer Epoche, sondern zum Selbstzweck. Während Bacon zwar, getrieben von Weltekel und Selbsthaß, immer auch seine eigene Pathologie mitinszenierte, seine masochistischen Bedürfnisse aber an den Themen und Topoi der Kunstgeschichte objektivierte, begibt Kresnik sich auf die Suche nach der Person Bacon – und scheitert virtuos. Denn es ist würdig und recht, mit dem Asthmatiker Bacon zu beginnen und mit einem schönen Zitat vom Tonband zu enden („I'm always surprised when I wake up in the morning“), dennoch betreibt man damit halt nur die Ikonisierung, die profane Seligsprechung des Malers Bacon.
Kresniks eigenes Werk ist voll von solch seltsamen Säulenheiligen, und nach der Stuttgarter Aufführung steht man etwas betäubt vor der Tür: Die Bösartigkeit und Präzision der Aufführung ist enorm – und trotzdem bleibt dieses Gefühl, daß Kresnik auch ein bißchen den tröstenden Onkel für die darbende Linke spielt. Marxfreudstrukturalposthistorie, alles gut zusammengerührt und neu gemixt: Die Welt ist schlecht, und wir sind gut, der arme Bacon sei unser Schutzpatron, bim bum bam, Kresnik ist der Weihnachtsmann.
Das ist die eine Seite der Medaille. Andererseits: die Inszenierung hat ungeheure Kraft (von diversen Hängern, Voyeurismen und zermatschten Blumensträußen mal abgesehen). Das liegt daran, daß Kresniks virtuose Montiererei von Bacons Material an die Grunderfahrungen von Kafka-Käfern und Endspielern rührt (rührt!). Die Verkörperlichung des Leidens ist dem entkörperlichten Publikum immer noch wie ein Hammerschlag ins Gesicht: der Ekel, das Schweigen, der Schrei, die Ekstase der aufgerissenen Münder. Kresnik erzählt da suggestiv wie früher der (neuerdings als Talk-Show-Papi geläuterte) Zitierfreak Heiner Müller. Verräterisch, daß die Codes im Computerzeitalter immer altertümlicher werden: Messer, Waschschüsseln, das nackte Fleisch. Ismael Ivo zuckt wie ein Stück Vieh am Fleischerhaken, ertrinkt in seinen Exkrementen. Die Musik von Paul Chagas wirkt wie eine Meredith- Monk-Collage, ein Gezirpe und sakraler Singsang, ein Knarren, Schaben, Räuspern, Klingen, Klacken und Flüstern. Kresnik schnallt den Tänzern Fleischstücke ans Bein und läßt daran lecken und beißen; es ist, als suche der Regisseur in immer neuen Anläufen, Bacon und Büchner gleichzeitig zu überholen, den Figuren die Haut von den Rippen zu reißen, in die Köpfe zu gucken, Gefühle wie im Präpariersaal freizulegen.
Der stärkste Augenblick der Aufführung ist der Auftritt der in einer Zwangsjacke steckenden Mara Borba: Sie tanzt (mit abgeklemmten Beinen) einen Menschenstumpf, den Torso der aphroditischen, jakobinischen Freiheit. Daß Kresnik dann wieder, nach einer Papst-Persiflage, auf die Ebene der Bacon-Verehrung regrediert – seine Sache. Im ganzen ist das nicht so schlimm; es führt weiter als der Weg der Pina Bausch (die irgendwann bei Botho Strauß zu stranden droht). Kresniks Engagement bei Castorf an der Volksbühne ist ganz folgerichtig: In Berlin, wo viel gebaut wird, werden auch viel Trümmer geräumt. Christian Gampert
„Francis Bacon“ im Theaterhaus Stuttgart. Regie: Johann Kresnik, Bühne: Penelope Wehrli. Nächste Vorstellungen: 5. bis 10.1., 20 Uhr, danach Mousonturm Frankfurt: 13. bis 15.1., 20 Uhr.
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