: „Gerechter Krieg“ gegen die Erben der Eroberer
Der erste bewaffnete Widerstand mexikanischer Bauern seit 20 Jahren, der am Samstag begann und über 50 Menschen das Leben gekostet hat, findet nicht zufällig im ärmsten Bundesstaat Chiapas statt. Hier kämpfen Nachkommen der Maya seit langem vergebens für die Anerkennung ihrer Autonomierechte und gegen Diskriminierung.
Tote auf der Straße, geplünderte und ausgebrannte Geschäfte und Gebäude, verängstigte Einwohner und aufgeschreckte Touristen. Die Stadt San Cristóbal de las Casas wirkte gestern wie ein verlassenes Schlachtfeld, obwohl die schwerbewaffneten Kämpfer des „Zapatistischen Nationalen Befreiungsheeres“ (EZLN) Stunden zuvor abgezogen waren, ohne daß die Sicherheitskräfte eingegriffen hätten.
Am Sonntag abend hatte die Armee die Kontrolle über die mit 80.000 Einwohnern zweitgrößte Stadt des südmexikanischen Bundesstaates Chiapas übernommen, die sich bei Touristen wegen ihres „Indianermarktes“ großer Beliebtheit erfreut. Da die Informationen über den weiteren Fortgang der Unruhen in der Region nur spärlich fließen, machen Gerüchte über einen bevorstehenden neuen Angriff der Guerilleros die Runde. Die Einwohner wagen sich nicht auf die Straße, und die Touristen – unter anderem aus Deutschland, Frankreich, Spanien und Brasilien – bekommen es mit der Angst zu tun. Eine deutsche Reisegruppe, die in die Stadt Ocosingo unterwegs war, erfuhr von Journalisten, daß dort Kämpfe zwischen Regierungstruppen und den Rebellen im Gange seien und konnte noch rechtzeitig zurückkehren. Später berichtete ein mexikanischer Reporter, bei den Kämpfen habe es 50 Tote gegeben.
„Sie werden noch mal kommen und uns töten“
Die Hoteliers in San Cristóbal verbrachten einen Großteil der Nacht zum Sonntag damit, von den Zapatisten freies Geleit für ihre ausländischen Gäste zu erwirken. Die Rebellen, die das Rathaus besetzten, hatten über die Stadt eine nächtliche Ausgangssperre verhängt und Stromsperren angekündigt. Die beiden örtlichen Rundfunkstationen sollen ihre Büros unmittelbar nach dem Bekanntwerden des Einmarschs der Rebellen in die Stadt dichtgemacht haben.
„Wir wissen nichts. Aber als wir hörten, daß die Guerilleros zurückkommen, haben wir uns alle in unseren Häusern verschanzt“, erzählt eine Frau, der man den Schrecken noch ansieht. Eine andere Einwohnerin fällt ihr ins Wort, während am Himmel über San Cristóbal Hubschrauber kreisen: „Sie werden noch mal kommen und uns alle töten.“ Auf der Chaussee nach Ocosingo liegen Soldaten im Straßengraben, etwa 15 Kilometer außerhalb von San Cristóbal. Ab und zu erwidern sie aus ihren Feuerwaffen die Schüsse aus den nahegelegenen Bergen.
Die Journalisten, die es hierher verschlagen hat, müssen sich bei jedem Knattern von Maschinengewehren flach auf den Boden legen. Ihr Standort wird durch ein kleines weißes Fähnchen markiert. Fünf mexikanische Reporter sollen vorübergehend von den Rebellen als Geiseln festgehalten und erst wieder auf freien Fuß gesetzt worden sein, als sie eine „Kriegssteuer“ in Höhe von umgerechnet etwa 350 Mark bezahlten. Die weitere Entwicklung hängt auch von der Regierung in Mexiko-Stadt ab, von der die Rebellen die Beendigung des „Völkermordes“ an den Indianern, das Ende der Unterdrückung durch Militär und Polizei sowie eine bessere Versorgung mit Schulen und Krankenhäusern fordern.
Die erste bewaffnete Widerstandsbewegung nach fast zwei Jahrzehnten entstand nicht zufällig in Chiapas. Der Wirtschaftsboom der letzten Jahre ist an dieser Region spurlos vorübergegangen. Über die Rebellen ist nur wenig bekannt. Ihr Führer nennt sich Commandante Marcos, sie tragen rote Halstücher, Frauen und Kinder kämpfen mit. Die Guerilleros dürften mehrheitlich den in den lakandonischen Urwäldern beheimateten Maya-Völkern angehören, die seit Jahren vergebens für die Anerkennung ihrer Autonomierechte, den Schutz ihres Lebensraumes und gegen die Diskriminierung der indianischen Bauern kämpfen. „Die Diktatoren führen einen nicht erklärten Krieg gegen unsere Völker“, heißt es in einer Erklärung der EZLN. Die Guerilleros bitten darin die Bevölkerung um Unterstützung im „Kampf um Arbeit, Land, Wohnraum, Nahrung, Gesundheit, Erziehung, Unabhängigkeit, Demokratie, Gerechtigkeit und Frieden“.
Nafta bedroht die kleinbäuerliche Existenz
Durch die Abholzung des tropischen Regenwaldes und die Ansiedlung von Bauern aus dem Norden auf den gerodeten Parzellen werden die indianischen Völker zunehmend in ihrer Existenz bedroht. Der mit Jahresbeginn in Kraft getretene Freihandelsvertrag zwischen Mexiko, den USA und Kanada (Nafta), der den transnationalen Unternehmen Tür und Tor öffnet, droht jetzt die letzten Refugien der Minderheiten den Gesetzen des Marktes auszuliefern. „Nieder mit Nafta, es lebe die Freiheit“, stand in San Cristóbal de las Casas an die Wände gesprüht. Die Aktion vom Wochenende hat das langsame Sterben dieser Völker zumindest öffentlich gemacht. „Wir sind ein Produkt von 500 Jahren Kampf“, heißt es in einem Flugblatt, dessen Text nach einer freien und demokratischen Regierung ruft.
Die Guerilleros haben ihre Lager irgendwo in den dichten Wäldern entlang der Grenze zu Guatemala. Es steht zu erwarten, daß weitere Aktionen folgen werden. „Der Krieg ist sicherlich ein extremes Mittel“, heißt es in ihrem Manifest, „aber ein gerechtes“. Gerardo Tena (AFP)
San Cristóbal de las Casas
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