: Darf Spanien rein?
■ Der deutsch-französische Kulturkanal arte im neuen Jahr
Das Jahr 1994 startete arte mit dem Urknall über den Urknall: „Archimedes“, das erste binationale Magazin für Wissenschaft und Forschung. Ebenfalls seit Neujahr gibt's täglich Comedy. „KYTV“ ist dabei, das als Persiflage auf das Privatfernsehen so perfekt ist, daß arglose Zapper sich schon mal auf einem noch unentdeckten Kommerzkanal glauben. Und ab heute gibt's mittwochs immer „Bonbons“ für die Kinder – multikulturelle Zeichentrickgeschichten.
Schon terminiert ist noch eine weitere Premiere. Am 3.Mai startet das erste multinationale, aktuelle kultur- und gesellschaftspolitische Magazin – viermal wöchentlich präsentiert von zweisprachigen ModeratorInnen. Eine belgisch-deutsch-französische Redaktion arbeitet daran bereits mit Hochdruck. Allein 20 Millionen Mark investiert die Straßburger Sendezentrale in das neue Politmagazin. Mitte Dezember gab die Mitgliederversammlung arte-Strasbourg (ARD-West, ZDF, La Sept/Paris und RTBF/Brüssel) dafür grünes Licht, während eine Woche zuvor auf der rein deutschen arte-Mitgliederversammlung in Baden-Baden am Magazin- Konzept wegen Fehlens einer Leitidee der Marke „Rote Couch“ o.ä. noch herumgemäkelt worden war.
„Wir müssen eine besonders schwere Übung absolvieren“, erklärt arte-Programmchef Victor Rocaries, zu dessen ersten Aktionen die vielbeachteten Live-Sendungen mit Salman Rushdie und zum Gatt-Tauziehen zählten. „arte hat einen hohen kulturellen Ruf. Wir müssen mehr Publikum erreichen, gleichzeitig aber unsere Prinzipien hochhalten.“
Damit ringt die Straßburger arte-Zentrale, von diesseits des Rheins ebenso gegängelt wie als „Rückfinanzierungsmodell“ gehätschelt, um mehr Gewicht und Gesicht. Mit 138 Millionen DM darf sie nur über etwa ein Viertel des Gesamtbudgets selbst verfügen. arte Baden-Baden, das allein fürs Koordinieren jährlich rund zehn Millionen DM verzehrt, verordnete dem jungen Sender, der nach wie vor in der Investitionsphase ist, sinnigerweise die hohe Kante: Von den 207 deutschen arte-Millionen – aus monatlich 75 Pfennig Extragebühren – wurden 12 Programm-Millionen erst mal gesperrt. Mindestens zehn Millionen sollen dieses Jahr in die „Reserven“ wandern. Per Ende 1993 war dort schon das hübsche Sümmchen von rund 70 Millionen aufgelaufen, nach deren Rückfluß die notleidenden Öffentlich-Rechtlichen insgeheim lechzen. Weitere 50 Millionen – demnächst aus den arte-Extragebühren der TV-Haushalte (Ost) als Etataufstockung zu erwarten – sollen erst gar nicht bei arte geparkt, sondern gleich bei ARD und ZDF verbucht werden. Jedenfalls erhörten die Ministerpräsidenten der Bundesländer diesen Wunsch der ARD- und ZDF- Chefs Plog und Stolte am 16.Dezember in Bonn, verschoben allerdings den Fälligkeitstermin um ein Jahr. Hinter den ARD-Kulissen rangeln unterdes MDR und ORB um einen baldigen Zutritt zum Straßburger Club. Vereinbarungsgemäß soll dieser „spätestens“ mit dem Gebührenbeitritt vollzogen sein. Doch sie wollen jetzt schon ins arte-Zuliefergeschäft kommen, um über die Honorare an die Refinanzierung aus dem arte-Topf teilzuhaben.
Gegen die Umleitung der Ost- Millionen legten arte-Präsident Jérôme Clément und sein Vize Dietrich Schwarzkopf energischen Protest ein. Sie rechnen sich gute Chancen aus, eine gleichwertige Budget-Erhöhung auch von jenseits des Rheins zu bekommen. Schließlich mochten in der Nationalversammlung kürzlich nur vier Abgeordnete einem Antrag des Gaullisten Vivien zustimmen, der dem Straßburger Multi-Kulti die 400 Millionen Francs (133 Millionen DM) für die Antennenverbreitung in Frankreich streitig machte.
Die schon seit längerem angekündigte Vergrößerung der arte- Familie wurde vorerst weiter verschoben. Während die Franzosen vom Beitrittsgesuch des spanischen Senders TVE begeistert sind, sind die deutschen arte-Familienväter allenfalls für Programmaustausch. Die deutsche Politik der langen Bank erklärt sich Marc Villain, der Leiter des Vorstandsbüros in Straßburg, mit Geld: „Denn alles, was wir für spanische Produktionen ausgeben würden, geht den Deutschen verloren.“ Doch es wird wenig helfen. Denn schon stehen auch die italienische RAI und das polnische Fernsehen vor der Tür. Günstiger kommt da eine Vergrößerung anderer Art: Bald speisen nicht nur auch der flämische Teil Belgiens arte ins Kabel ein, sondern auch Österreich und die Schweiz. Derweil bemüht sich die arte-PR-Abteilung in Straßburg geradezu rührend am Zuschauertelefon und mit persönlicher Korrespondenz um die Fangemeinde. Seit neuestem erhalten rund 10.000 deutsche arte-Liebhaber ein monatliches Programm- Info – und müssen dafür nur Porto und Versand bezahlen. Und zu der Pressekonferenz in München, auf der arte das neue Magazin „Archimedes“ kommenden Montag offiziell vorstellen will, wurden rund 500 namentlich bekannte arte- Fans aus der bayerischen Metropole eingeladen. Ulla Küspert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen