: Liga der krachenden Knochen
Vor den Play-offs der National Football League (NFL) gelten die Titelverteidiger Dallas Cowboys wieder als Favoriten für die Super Bowl 1994 ■ Von Matti Lieske
Berlin (taz) – An ihrer Basketballmannschaft haben die Bewohner der texanischen Stadt Dallas nach wie vor wenig Freude. In der letzten Saison schrammten die Dallas Mavericks gerade so an der schwärzesten Niederlagen-Serie der NBA-Geschichte vorbei, und obwohl sie mit Jamal Mashburn einen neuen Star verpflichten konnten, sind sie auch in dieser Saison wieder auf dem besten Weg zu einem Negativrekord. In 28 Spielen haben sie erst zweimal gewonnen.
Alles nicht so schlimm, denn die Dallasianer haben einen Trost: ihr Football-Team. Trifft ein Texaner auf den Bewohner eines anderen Staates, so schafft er es regelmäßig binnen zwei Minuten, ganz zwanglos die Sprache auf den Super- Bowl-Triumph der Dallas Cowboys gegen die Buffalo Bills im letzten Januar zu bringen. Und die Chancen stehen nicht schlecht, daß Dallas auch am 30. Januar 1994 im Stadium von Atlanta auf dem Platz stehen wird, wenn es um Super Bowl XVIII geht.
Das Erfolgsgeheimnis der Dallas Cowboys trägt einen Allerweltsnamen: Smith. Emmitt Smith. Der widerstandsfähige Running Back schloß die reguläre Saison zum dritten Mal hintereinander als „Rushing“-König ab, der Spieler, der mit Ball die meisten Yards zurücklegte. Ohne ihn sind die Cowboys Mittelmaß, mit ihm der Topfavorit für die Meisterschaft. Als Smith die ersten beiden Saisonspiele wegen Gehaltsstreitigkeiten pausierte, verlor Dallas zweimal, nach dem er seinen neuen Vertrag, der ihm 3,4 Millionen Dollar pro Jahr garantiert, unterschrieben hatte, wurde mit dem 25jährigen nur ein Spiel verloren.
Im entscheidenden Saisonspiel gegen die New York Giants um den Conference-Titel und damit das Heimrecht in den Play-offs schrieb Emmitt Smith dann noch ein Stück jener Heldengeschichten, wie sie in der rauhen Welt des American Football so gern erzählt werden. Dank eines überragenden Smith, dem ein Touchdown gelang, gingen die Cowboys 13:0 in Führung. Bei dem Lauf, der das Field Goal zum 13:0 vorbereitete, kugelte er sich jedoch die rechte Schulter aus. Einarmig spielte er weiter. Dabei ist sein Job ein besonders ekliger. Das Spiel von Dallas ist völlig auf seine Läufe abgestellt, ständig reicht ihm Quarterback Troy Aikman das Ei, und Smith rennt los, bis die Kavalkade von 250-Pfündern aus der gegnerischen Abwehr über ihm zusammenschlägt. Ob er es gehört habe, als die Schulter ausgekugelt sei, wurde er gefragt: „Ich weiß nicht“, lautete die Antwort, „ich höre die ganze Zeit Knochen krachen.“
Punkt um Punkt kamen die Giants heran, schafften den Ausgleich, das Match ging in die Verlängerung. Und immer noch schleppte Smith die Bälle, klemmte sie unter den linken Arm, während der rechte schlapp herabhing, und sah zu, daß er, wenn er umgerissen wurde, nicht auf die rechte Seite fiel. „Ich bin okay, helft mir nur hoch“, sagte er dann zu seinen besorgten Kollegen und stellte sich wieder in Position. „Das war gelogen“, gab er später zu, „es hat wirklich wehgetan.“ Beim letzten Spielzug, der das Field Goal zum 16:13-Sieg der Cowboys brachte, bekam er neunmal den Ball, dann war die Sache überstanden, und Smith begab sich ins Krankenhaus. Drei bis vier Wochen Pause, urteilten die Ärzte, doch die Super Bowl ohne Emmitt Smith – undenkbar. „Höchstens zehn Tage“, verkündete der Running Back. Beim ersten Play-off- Spiel der Dallas Cowboys am 16. Januar will er wieder seine Zickzack-Läufe absolvieren.
Nicht nur das Match der Cowboys gegen die Giants ging am letzten Spieltag in die Verlängerung , auch drei andere Partien wurden erst in der Nachspielzeit entschieden. Endlich die Dramatik, die den Football-Fans in den letzten Monaten gefehlt hatte. Zwar ist Football immer noch der Sport Nummer eins in den USA, die Stadien sind voll, die TV-Einschaltquoten gut – gerade wurde ein neuer Vertrag mit den Fernsehgesellschaften über 4,4 Milliarden Dollar für vier Jahre unterzeichnet –, doch die meisten Spiele waren langweilig. Wenig Risiko, wenig Touchdowns, das Schwergewicht auf der Defensive, kaum neue Talente, vor allem auf der Quarterback-Position. Im Mittelpunkt standen die Altstars wie Steve Young (San Francisco 49ers), der es als erster Quarterback schaffte, zum drittenmal hintereinander die beste Paßquote zu erreichen, Joe Montana (Kansas City Chiefs), John Elway (Denver Broncos) oder Catcher Jerry Rice (49ers). Zu überzeugen wußten lediglich Rookie-Quarterback Drew Bledsoe von den New England Patriots und Running Back Jerome Bettis von den Los Angeles Rams, der gleich in seiner ersten Saison nach Emmitt Smith die meisten Yards lief. „Ich muß versuchen, künftig mehr auf meinen Füßen zu bleiben“, faßte der ins All-Star-Team gewählte Rookie einen vernünftigen Vorsatz für die nächste Saison.
Seine Rams schafften jedoch ebenso wenig den Sprung in die Play-offs wie die renommierten Teams der Miami Dolphins, bei denen sich Quarterback Dan Marino früh verletzte, Chicago Bears oder New Orleans Saints, die mit 5:0-Siegen begannen und am Ende mit einer Bilanz von 8:8 dennoch scheiterten, ein Kunststück, das erst drei Mannschaften der NFL- Geschichte fertigbrachten. Qualifiziert für die Play-offs sind: Dallas, Buffalo, Houston, Pittsburgh, Kansas, LA Raiders, Denver, New York Giants, Detroit, Minnesota, Green Bay und San Francisco.
Alles wünscht sich für das Finale am 30. Januar natürlich ein Duell zwischen dem legendären Quarterback Joe Montana, der, mittlerweile 37jährig, die Seele des Spiels der Kansas City Chiefs ist, und seinem ehemaligen Team, den San Francisco 49ers, doch vieles deutet auf eine Neuauflage der Super Bowl 1993 mit Dallas und den Buffalo Bills hin, die ebenfalls während der gesamten Play-offs Heimrecht haben. Für die Bills wäre es das vierte Finale hintereinander, alle drei vorherigen haben sie verloren.
Einen Strich durch die Rechnung könnten den beiden Topteams am ehesten die San Francisco 49ers, die Kansas City Chiefs und die Mannschaft der Stunde, die Houston Oilers, machen. Diese holten sich den anerkannt besten Defensivtrainer der NFL, den 59jährigen Buddy Ryan, mit dem sie zuletzt eine Serie von elf Siegen hinlegten. Ryan, der 1986 der Schlüssel zum Super-Bowl-Gewinn der Chicago Bears war, ist allerdings für sein übles Temperament berüchtigt und gab eine Kostprobe davon beim letzten Match gegen die New York Jets, als er am Spielfeldrand den Offensivtrainer Kevin Gilbride wegen eines taktischen Fehlgriffs mit Faustschlägen traktierte.
„Solche Situationen werden wir nicht tolerieren“, kündigte der Oilers-Besitzer Bud Adams an, die Spieler sehen die Sache pragmatischer: „Er ist ein großartiger Coach. Er ist auch der verrückteste, den ich je erlebt habe. Aber mit seinen Resultaten mußt du ihn eben gewähren lassen.“ Einsicht jedenfalls ist von Ryan kaum zu erwarten. Auf die Frage, was er denn nun genau von dem fraglichen Spielzug Gilbrides halte, verwies er darauf, seine Meinung ja bereits geäußert zu haben: „Taten sprechen lauter als Worte.“
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