: Operation mit „größerer Wirkung als erwartet“
■ Bundesregierung fordert von Syrien die Auslieferung von Johannes Weinrich / Er soll 1983 an dem Anschlag auf das „Maison de France“ beteiligt gewesen sein
Berlin (taz) – „Wir sind überall und nirgends zur selben Zeit“, schrieb Johannes Weinrich im Herbst 1983 an seinen Freund und Auftraggeber, den internationalen Top-Terroristen Carlos. Wenige Wochen zuvor, am 25. August, war das am Berliner Ku'damm gelegene französische Kulturzentrum „Maison de France“ in die Luft geflogen. Bei dem Anschlag wurde ein Aktivist der Friedensgruppe „Fasten für das Leben“ getötet, der dem französischen Vizekonsul eine Petition gegen Atomtests im Südpazifik überreichen wollte. Die Bombe hatte der Libanese Mustafa Ahamad al-Sibai gelegt.
Die 24 Kilo Sprengstoff hatte Weinrich mit Rückendeckung der Stasi und des syrischen Botschafters in Ost-Berlin in den Westen geschmuggelt. In dem von der Stasi kopierten Brief an Carlos notierte er später: „Die Operation hatte eine größere Wirkung, als ich erwartete. Ich schicke Dir Fotos.“
Die Berliner Justiz will den mittlerweile 46jährigen Weinrich, dessen Beteiligung an dem Anschlag in den Stasi-Akten in der Gauck- Behörde nachzulesen ist, in der syrischen Hauptstadt Damaskus ausgemacht haben. Bereits im letzten Sommer stellte die Bundesregierung einen Auslieferungsantrag. Bisher steht eine Antwort aus.
Der Anschlag auf das Kulturzentrum war eine Racheaktion von Carlos gegen die französische Regierung. Diese hatte zuvor seine Lebens- und Kampfgefährtin und frühere Geliebte Weinrichs, die deutsche Magdalena Kopp, und ein weiteres Führungsmitglied seines Terrortrupps festgenommen. Danach flogen erst in Beirut das französische Kulturzentrum und die französische Botschaft in die Luft. Dann detonierte in einem französischen Schnellzug eine Bombe, und ein französisches Diplomatenehepaar im Libanon wurde ermordet. Anschließend explodierten Sprengsätze in der französischen Botschaft und im Büro von Air France in Wien. Und schließlich krachte es am Ku'damm.
Der nach Einschätzung des Bundeskriminalamts „dienstälteste und gefährlichste deutsche Terrorist“ Weinrich fühlte sich laut BKA-Akte schon als Gymansiast „zu ausländischen anarchistischen Organisationen hingezogen“. Ende der sechziger Jahre organisierte er in Frankfurt Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg. Er war Mitbegründer des Verlags „Roter Stern“ der „Roten Hilfe“. Über die „Revolutionären Zellen“ (RZ) lernte er 1973 Carlos kennen. 1975 wurde Weinrich in Frankfurt festgenommen, weil er zuvor in Paris einen Wagen gemietet hatte, der von einem Palästinenserkommando zu einem mißglückten Anschlag auf ein israelisches Flugzeug verwendet wurde. Er erhielt Haftverschonung und verschwand in den Nahen Osten, wo er mit Carlos eine eigene „Gruppe Carlos“ aufmachte. Sie wurden von Syrien, der Volksrepublik Jemen und der DDR mit Pässen, Waffen und Geld ausgestattet. Wichtigste Residenz war Damaskus, wo sich Carlos, Weinrich und Kopp zumindest bis Ende 1991 aufgehalten haben sollen. Danach versuchten die Syrer die Gäste loszuwerden.
Aufklärung über ihr Schicksal könnte vielleicht der frühere Stasi- Oberstleutnant Helmut Voigt liefern. Der betreute Carlos und die seinen im MfS. Ab kommenden Mittwoch steht Voigt vor dem Berliner Landgericht. Thomas Dreger
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen