: „Ein Panoptikum, das bunter wird“
■ Interview mit Maria Rerrich, Professorin an der Fachhochschule für Soziologie in München, über die Vielfalt an Familienformen
taz: Die Familie wird mal totgesagt, dann wieder ist von Rückbesinnung die Rede. Welche Bedeutung hat der Begriff heute?
Maria Rerrich: Familie ist zunächst mal nichts anderes als das Zusammenleben von Mann, Frau und Kind. Da gibt es viele Varianten, ein Panoptikum, das immer bunter wird. Zum Beispiel die sogenannte Patchwork-Familie – wenn Leute sich scheiden lassen und später wieder heiraten. Die alleinerziehende Mutter ist auch Familie. Mit den ausländischen Familien kommen noch mal ganz andere Strukturen, andere Netzwerke hierher. Diese Erscheinungsformen werden noch vielfältiger werden.
Diese neuen Erscheinungsformen sind ja oft Resultat von Trennungen oder anderen Zwängen. Vor zehn, 15 Jahren gab es dagegen eine Diskussion über bewußt gewollte Alternativen, zum Beispiel Wohngemeinschaften. Warum haben sich diese Alternativen kaum durchgesetzt?
Wer die Wohngemeinschaftssituation miterlebt hat, weiß aus eigener Erfahrung, daß sich zwar viele Hoffnungen, die daran geknüpft waren, erfüllt haben, daß aber auch Probleme aufgetaucht sind. Etwa die Frage der Arbeitsteilung. In traditionellen Familien werden diese Fragen nach geschlechtsspezifischen Vorgaben geregelt. In Wohngemeinschaften mußte das erst ausgehandelt werden, und das gab ständig Konflikte.
Die Gründung einer Familie birgt für Frauen die Gefahr, durch die traditionelle Arbeitsteilung im Haushalt zu verschwinden. Hat sich daran in den vergangenen Jahren nichts geändert?
Wenn man sich anschaut, was da in den vergangenen zehn, 15 Jahren passiert ist, dann sehen wir keine ausgeprägte Umverteilung der Familienarbeit zwischen den Geschlechtern, dafür aber eine deutliche Umverteilung von Arbeit zwischen Frauen – sei es im verwandtschaftlichen Zusammenhang, sei es informell, seien es irgendwelche Freundinnen, Tagesmütter oder eben die typische slowenische Putzfrau, die kroatische Tagesmutter und so weiter. Die patriarchalen Strukturen werden dadurch nicht in Frage gestellt.
Das heißt, daß vor allem gutbetuchte Paare sich ein Stück Gleichberechtigung leisten können. Sind diese schlechten Bedingungen für die meisten Frauen auch ein Grund für die immer wieder beklagte niedrige Geburtenrate?
Es ist schon die Frage, wieviel Leute in einer Generation überhaupt bereit sind, eine Familie zu gründen. Wir beobachten ja das Phänomen, daß im Vergleich zu früheren Jahrgängen heute immer weniger Frauen die Mutterrolle übernehmen. Ein Aspekt dabei ist weniger die Institution der Familie, sondern wie sich das Alltagsleben mit Kindern gestaltet. Die Familie, und darin besonders die Ehe, wird zwar positiv sanktioniert, durch einen bestimmten sozialen Schutz. Andererseits erschweren Strukturprobleme den Familienalltag, denken Sie an die Wohnsituation in den Städten, den Verkehr, die Betreuung der Kinder. Volkswirtschaftlich unsinnig ist zum Beispiel, daß an einem ganz normalen Schultag Millionen Mütter in Deutschland ihren Kindern ein Mittagessen kochen. Wenn die Kinder in den Schulen ein Mittagessen bekommen würden, könnte das den Frauen jeden Tag zwei Stunden Zeit sparen.
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