piwik no script img

Lieb, wie zwei klappernde Stricknadeln

■ Ratsherrncup: HSV unterliegt im Finale Spartak Moskau Von C. Thomsen, P. Behrend, K. Rehländer

Rückwärts laufend und langsam den Kopf in den Nacken senkend, blickte Nils Bahr dem vollmondgleich über ihm schwebenden Ball nach. Sein Blick, deutlich zu erkennen von den 6 .500 entzückten oder – je nach fußballerischer Fasson – entsetzten Zuschauern in der ausverkauften Alsterdorfer Sporthalle verriet: Es gibt schlimmeres für einen Torwart, als einen Elfmeter. In ungestörter Ferne von dem zuvor aus seinem Kasten geeilten HSV-Keeper plopperte der Lupfer des Elmshorner Rasensportlers Frank Grobitzsch zum 2:2 ins Netz. Deklassiert von einem Amateur – eine Peinlichkeit, die auch durch den 6:2-Sieg der Profis nicht wesentlich gemildert wurde.

Der HSV setzte beim 8. Ratsherrn-Cup in der Manier Werder Bremens auf die Unterstützung des vorgezogenen Tormannes. Eine Taktik, welche zwar Wucht und Direktheit der Angriffe steigerte, die spielerische Komponente des Sports jedoch nicht eben erhöhte. Für körperlos anmutendes Kombinationsspiel, bei dem die Ballführung auch unter Einbeziehung der Bande leicht vom Fuß zu fließen scheint stand auch am vergangenen Wochenende der Sieger der beiden Vorjahre, Spartak Moskau.

Die Moskowiter um die jüngst von Werder Bremen verpflichtete fliegende Blondmähne Vladimir Bestchastnikh überzeugten bereits in der Vorrundenpartie gegen den Hamburger Erstligisten durch Zeitgefühl: Sie wissen, daß in der Halle in drei Minuten vier Tore geschossen werden können. Die im Innenraum schwerfällig anmutende Athletik der Möhlmänner schien diese Erkenntnis zu behindern. In der Partie hatte man sich wahnsinnig angestrengt und doch 3:7 verloren.

Nicht allein die St. Paulianer sorgten dafür, daß der diesjährige Cup an politically correctness kaum zu überbieten war. Das Bekenntnis des Veranstalters Horst Petersen, trotz der Aberkennung des Qualifikationsranges für das Dortmunder Hallenmasters, nie in Betracht gezogen zu haben, die Amateure zu opfern, klingt lieb wie ein paar klappernde Stricknadeln. Sanft wie ein Atmen muteten auch die Einsätze der schwedischen Blauhemden aus Trelleborg an, von denen nach der Vorrunde leider am eindrucksvollsten der Pauseneinsatz des städtischen Musikkorps in Erinnerung blieb.

Das Fernbleiben der Nationalelf der Bundeswehr und die Teilnahme der Maastrichter, Tschechen und nicht zuletzt des SC Freiburg unterstrichen das Untergrund-Flair der diesjährigen Veranstaltung. Ein Flair, das die HSV-Fans in die Bredouille brachte. Während ihre St. Paulianischen Widersacher auf der gegenüberliegenden Hallenseite keinerlei ideologische Probleme daran hinderten, die Elmshorner Amateure vielkehlig und sozusagen von Grasnarbe zu Grasnarbe gegen die Volkspark-Equipe zu unterstützen, tat man sich im Fanblock der Blau-Weißen doch ein wenig schwer, beim Anfeuern des SC Freiburg gegen die Jungsvom Millerntor.

Das in Eigenregie aufspielende Team von Seppo Eichkorn, der statt an der Bande stehend, lieber verdeckt durch seinen Nachwuchs, das Geschehen auf dem Linoleum verfolgte, hatte so keine Probleme beim Erreichen des Halbfinales. Dort, wie auch zuvor, bestach vor allem Carsten Pröpper durch schlängelnd-leichtes Spiel, welches von der anwesenden Journaille verdient zum Besten des Turniers gekürt wurde. Leider verwandelte Klaus Thomforde das Traumderby gegen den HSV durch seine unterirdische Patzigkeit für seine Kumpanen in einen Alptraum. Sechs Tore kassierte der indisponierte Keeper in sieben Minuten und wurde leider viel zu spät durch Andreas Reinke, der das Leder sofort erfolgreich und wütend in den gegnerischen Kasten knallte, ausgetauscht. Das Spiel um den 3. Platz, das der Kiezclub wie schon am Freitag in Kiel für sich entscheiden konnte, diente nur noch der Fortsetzung des Folklorewettbewerbs der rivalisierenden Glaubensgemeinschaften.

Daß Fußball in der Halle weit mehr als eine charmante Simulation des Ernstfalls auf anderem Parkett sein kann, offenbarte das Finale, in dem der HSV wiederum auf die Moskauer Spartakisten traf. Grazil, wie gemeinhin nur die Akteure des Bolschoi-Balletts setzten sich die Russen gegen den HSV mit 5:3 durch und wurden dennoch nicht zum Sieger ernannt.

Heribert Bruchhagen, sehr auf die Finanzen bedachter Manager des HSV, liebäugelte trotz der sportlich klar schlechteren Leistung seiner Mannschaft immer noch mit dem Siegerscheck von 10.000 Mark und legte gegen den vierten Treffer der Russen - der einem Regelverstoß gefolgt sein soll - Protest ein.

Eine weitere Steigerung, der bis dahin schon als gelungen zu bezeichnenden Dramarturgie des Turniers setzte ein, als der aus Hamburger Fußballfunktionären bestehende Spielausschuß beschloß, dem Ansinnen des gelernten Studienrates zu folgen und eine Wiederholung des Endspiels ansetzte. Danksagend defilierten die Spartakspieler den St. Pauli-Fanblock ab, der sich ob der unterhaltsamen Funktionärseinlagen bemüßigt fühlte, ein opulentes Pfeifkonzert zu veranstalten, während sich der HSV-Anhang auf einmal auf der Siegerstraße wähnte.

Sich zusammensetzen, Entscheidungen treffen, diese dann in Interviews rechtfertigen, kurz: im Mittelpunkt stehen, – auch für die Entscheidungsträger des Hamburger Fußballbundes entwickelte sich der Ratsherrncup immer mehr zu einem Jahreshöhepunkt, der allerdings nur etwa zwanzig Minuten währte. Nach mehrmaligem, kollektiven Studiums der Fernsehaufzeichnungen stornierte Bruchhagen in der Manier eines Bankbeamten, der versehentlich eine falsche Überweisung getätigt hat, den Protest. Spartak Moskau ist schlußendlich zum dritten Mal in Folge verdienter Sieger des Ratsherrncups.

Enden wollen wir mit einem Zitat aus jenem Grußwort, mit dem der Generalkonsul der Russischen Föderation in Hamburg, D. Tscherkaschin, das Turnier beschenkte. Auf daß die Bedeutung seiner weisen Worte in die Seelen der aufgebrachten HSV-Stars sickere, wie das Massageöl Hermann Riegers in deren Haut: „Sport bedeutet Frieden. Und das ist das Wichtigste.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen