: „Eine entsetzliche Schere“
■ Hochbegabte Kinder: Nicht unbedingt ein Anlaß zum Jubeln
Lisa ist acht Jahre alt und besucht schon das Gymnasium. Bereits mit vier Jahren konnte sie lesen, mit fünf multiplizieren und dividieren. Lisa ist eines von schätzungsweise 300.000 hochbegabten Kindern in Deutschland. Nicht immer ist dies allerdings ein Anlaß zum Jubel: „Viele Kinder sind ihren Altersgenossen zwar geistig um Jahre voraus, sozial und emotional aber deutlich zurückgeblieben. Es ist eine entsetzliche Schere“, sagt Ingrid Buth vom „Studienkreis“, einem privaten Nachhilfeunternehmen, das sich seit Januar mit Nachmittagsangeboten auch den Hochbegabten annehmen will.
Etwa die Hälfte der hochbegabten Kinder hat in einer normalen Regelschule große Probleme, weil ihre Begabung unerkannt bleibt. Die Kinder stören den Unterricht bis hin zur totalen Verweigerung. Die Lehrer reagieren hilflos, Fehleinschätzungen bis zur Umschulung auf eine Sonderschule können die Folge sein. Dabei hat alles nur einen Grund: Das ständig unterforderte Kind langweilt sich zu Tode, mit seinen „normalen“ Mitschülern kann es nichts anfangen.
Der „Studienkreis“, der seit 1974 in über 500 Einrichtungen bundesweit Kinder mit Schulschwierigkeiten betreut, will nun zunächst in neun Städten Projekte für hochbegabte Kinder anbieten. Seit dies Ende November vorigen Jahres bekannt wurde, steht bei Ingrid Buth in Hamburg das Telefon nicht mehr still. Über 70 Anfragen habe sie bisher gehabt – von Dänemark bis Belgien. In der Mehrzahl riefen Eltern von Erst- und Zweit-klässlern an, zweimal habe es sich bei den Anfragern aber auch um Eltern von Zweijährigen gehandelt. „Mit einem derartigen Zuspruch haben wir nicht gerechnet“, sagt Frau Buth.
Wichtigster Aspekt der Angebote des „Studienkreises“ ist für Frau Buth, daß die zumeist vereinsamten Kinder ein- bis zweimal wöchentlich mit Gleichaltrigen zusammenkommen, die das gleiche Lerntempo und die gleichen Interessen haben. Bewußt werden keine schulischen Fächer angeboten. Das Programmspektrum reicht von Mathematik und Magie, der Erfindung von Action-Spielen, kreativem Schreiben, Umweltanalysen bis zum Philosophieren über Glück, Freiheit, Tod und Gerechtigkeit.
Die Preise für die Kurse schwanken zwischen 150 und 230 Mark monatlich. Dagmar Garbe/lno
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