Metallarbeitgeber auf gefährlichem Kurs

Die Nullrunde reicht ihnen nicht, auch das Urlaubsgeld soll nach dem Willen der Unternehmer fallen / IG Metall: Arbeitgeber wollen „aus der Not von Millionen Kapital schlagen“  ■ Von Walter Jakobs

Bochum (taz) – Kurz vor Weihnachten gab es ein Gipfeltreffen der besonderen Art: Zum geheimen Waldspaziergang trafen sich Klaus Zwickel, Vorsitzender der IG Metall, und Hans-Joachim Gottschol, Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall. Thema: die Tarifrunde 1994. Details über das Spitzengespräch sind nicht bekannt, aber so viel ist gewiß: Der Versuch, den brisanten Tarifkonflikt im vertrauten Zwiegespräch zu entschärfen, mißlang. Danach ging das aus jeder Tarifrunde bekannte Wortgeklingel aus beiden Lagern erst richtig los. Der Hauptgeschäftsführer von Gesamtmetall, Dieter Kirchner, warnte vor einem „heißen Frühling“, während der stellvertretende IG-Metall-Vorsitzende Walter Riester an die Metaller in den Betrieben appellierte, „Widerstandslinien“ aufzubauen. Den Arbeitgebern warf Riester vor, die hohe Arbeitslosigkeit als Druckmittel zu mißbrauchen und aus „der Not von Millionen Kapital schlagen“ zu wollen. Hoffnung für eine Verhandlungslösung gebe es nur, wenn den Arbeitgebern aus den Betrieben signalisiert werde, daß dieses Kalkül nicht aufgehe. In den Unternehmen müsse sich „tätige Unruhe“ ausbreiten.

Grund genug dazu bestünde in der Tat. Nie zuvor hat sich die Kapitalseite in der Tarifgeschichte der Bundesrepublik so weit aus dem Fenster gelehnt, um die Wende durchzusetzen. Es begann mit der einseitigen Kündigung der Tarifverträge durch die Arbeitgeber im vergangenen Jahr. Danach wurde zunächst die Nullrunde als Ziel proklamiert. Als die Verhandlungen im Dezember begannen, präsentierten die Arbeitgeber einen weiteren Hammer. Das tariflich vereinbarte Urlaubsgeld soll ersatzlos gestrichen werden, und in NRW wollen sie darüber hinaus durchsetzen, daß der sechswöchige Urlaubsanspruch bei Abwesenheit – etwa durch Krankheit oder Kuren – anteilig entfällt. Erstmals wollen die Arbeitgeber damit direkt aus den Taschen der 3,6 Millionen Beschäftigten in der westdeutschen Metall- und Elektroindustrie tarifvertraglich vereinbarte Leistungen zurückholen. Mit dieser Forderung wurde der Bogen überspannt. Daß der Tarifvertrag aus dem vergangenen Jahr einen realen Lohnverzicht nicht verhindern konnte, haben die Metaller noch ohne Murren geschluckt. Auch die zahlreichen Kürzungen von übertariflichen Leistungen gingen überall in der Branche ohne wirklichen Widerstand über die Bühne. Das Schlagwort von der lohnbedingten Kostenkrise half, viele Betriebsvereinbarungen zu kippen.

Tatsächlich führen die Klagen über die zu hohen Lohnstückkosten in Deutschland in die Irre. Nicht nur das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) aus Berlin geht davon aus, daß die Arbeit in Deutschland im Vergleich zu maßgeblichen Konkurrenzländern nicht zu teuer ist. Auch nach einer Statistik des wirtschaftfreundlichen Handelsblatts liegt die Lohnstückkostenbelastung des verarbeitenden Gewerbes in Deutschland niedriger als etwa in Großbritannien, Frankreich, Spanien, Italien, Portugal oder Griechenland. In Wahrheit ist die deutsche Kostenkrise kein Ergebnis zügelloser Gewerkschaftspolitik, sondern Resultat einer fortwährenden Aufwertung der D-Mark, die zu einer extremen Verteuerung deutscher Produkte geführt hat.

Als „reine Demagogie“ wertet ein Gewerkschafter aus der NRW- Verhandlungsdelegation daher auch die Arbeitgeberparolen. Der Angriff auf die Urlaubsregelung „war ein Fehler“. Diese „ungeheure Unverschämtheit“ werde in den Betrieben nicht hingenommen. Am 28. Januar läuft die Friedenspflicht ab. Die Arbeitgeber peilen offenbar direkt die Schlichtung an. Sollten sie bis dahin auf ihrem Forderungspaket bestehen, ist eine erfolgreiche Schlichtung so gut wie ausgeschlossen. Bei dieser Ausgangslage, so heißt es aus IG- Metall-Kreisen, „kann kein Schlichter eine tragfähige Brücke zwischen beiden Lagern bauen“.

Gesamtmetall verfolgt nach den Worten seines Hauptgeschäftsführers Kirchner das Ziel, den Flächentarifvertrag auszuhebeln: „Der Tarifvertrag und seine Einheitsregelung muß aufgebrochen werden zu einer sinnvollen Ergänzung durch betriebliche Gestaltungen.“ Die IG Metall will dagegen Mindeststandards für alle Beschäftigten sichern, und sie strebt den „Ausschluß von betriebsbedingten Kündigungen für 12 Monate (Moratorium)“ an. Erreicht werden soll die Beschäftigungssicherung durch Arbeitszeitverkürzung und -flexibilisierung. Dafür würde auch ein erheblicher Reallohnverzicht hingenommen. Eine am Ende realistische nominale Lohnerhöhung von drei Prozent könnte noch einmal um 1,4 Prozent schrumpfen, wenn die Arbeitgeber sich bereitfänden, die für 1995 vereinbarte Einführung der 35-Stunden-Woche jetzt vorab einzuführen. Auch das signalisiert eine Wende: weg vom vollen Lohnausgleich. Ein „heißer Frühling“ muß nicht sein.