: Aufstand ohne Moral
■ Malersaal: Elke Lang inszeniert Edward Bonds „Gerettet“
Auf jugendliche Gewaltausbrüche reagiert die Gesellschaft immer mit derselben blasierten „Schockiertheit“. Ob die Teds in den 50ern, die Aufstände in den amerikanischen Ghettos in den 60ern, die Skins in den 80ern oder die krakeelenden, rechten Jungspießer, die heute Häuser anzünden, die Erwachsenen-Generation reagierte stets mit der gleichen hysterischen Abwehrhaltung. Eine Beziehung zwischen Familie und Ausbruch aus dieser will der Bürger nur sehen, wenn der Split am Ende zu gesellschaftlicher Reputation führt. Theater-Autoren der Nachkriegszeit von John Osborne bis Werner Schwab haben dagegen die gesellschaftlich verdrängte Verknüpfung von Milieu, Sozialisation und Lebensweg immer wieder mit brutaler Akribie beschrieben.
Edward Bonds Gerettet zählt hier sicherlich zu den ungeschöntesten Abrechnungen mit kleinbürgerlichen Idyll-Vorstellungen, dargestellt in einem Tryptichon der Gewalt: Entwurzelte „Halbstarke“, deren haßerfüllte Anti-Moral und aktionistische Langeweile sie bis zur Steinigung eines Säuglings führt, auf der einen Seite. Eine Familie, deren Beziehung auf reinen Nützlichkeitsabwägungen basiert, die in Gleichgültigkeit, Haßtiraden, Gewalt und Demütigungen kulminieren, auf der anderen. Dazwischen Leo, ein „Weichling“, dessen schwächlicher Versuch moralische Integrität zu bewahren, nur die Aggression seiner Umgebung multipliziert.
Diese Atmosphäre aus Bezugslosigkeit und Verkrümmungen inszeniert Regisseurin Elke Lang in der schonungslosen Art früher Fassbinder-Filme, allerdings in einem leeren Kunstraum, gegliedert durch Stahlträger. Ihre genau gearbeitete Sozialstudie der End-Sechziger-Lebenswelt, die sie bis in die Requisite konsequent durchhält, verzichtet ganz darauf, den Wandel der Haltungen und Posen seit dieser Zeit aufzunehmen. Ihr Blick gilt einer Orginalität, der ihre Schauspieler, obwohl mit dieser Zeit kaum noch vertraut, erstaunliche Schärfe verleihen. Thomas Mehlhorn als gutherziger Leo, Martin Lindow als streunender Macho Max und „Rabenmutter“ Inka Friedrich erwecken mit ihren Kollegen die Geister eines entwurzelten Proletariats, das sich zwischen Konsumwünschen und Sprachunfähigkeit in emotionalen Irrgärten bewegt.
Sicherlich wäre ein aktualisierter Bond, der die Gewalt- und Isolationsmetaphern heutiger Jugendlicher benützt und bewertet, die spannendere Lösung gewesen. Aber auch durch das historische Auge läßt sich das Geschehen auf dem dünnen Eis der Freiheit, über das die jugendliche Sehnsucht hinweghastet, um nicht einzubrechen, bis sie viel zu früh am Ufer der Vergreisung angelangt ist, mit Spannung und bitterem Amüsement beobachten. Auch wenn die Distanz zum Geschehen, gerade wegen der Realistik einer vergangenen Epoche, eine wirklich Attacke gegen festgefahrene Jugendbilder verhindert, so gelingt es Elke Lang doch, einige exemplarische Bilder in den neuerdings leergeräumten Maler-saal zu zaubern. Till Briegleb
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen