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Menschen mit „zerbombter Vergangenheit“

■ Bosnische Flüchtlinge finden am Stadtrand Berlins Zuflucht / Die Unterstützung durch die Behörden ist mangelhaft / Psychologische Betreuung scheitert am Sprachproblem

Hasma Haskić, eine 63jährige Frau aus Bosnien, kann den deutschen Behörden nicht beweisen, daß ihr Mann tot ist. 22 Jahre lang hatte Emin Haskić als Gastarbeiter in Süddeutschland gearbeitet. Das Geld, das er verdiente, hatte er nach Hause geschickt. 1992 war er als Rentner in seine Heimat zurückgekehrt. Gemeinsam mit einem der Söhne wurde er am 29. November 1992 auf offener Straße in seinem Heimatdorf von serbischen Soldaten erschossen.

Die Männer aus dem Dorf begruben die Toten. Doch eine beglaubigte Urkunde oder einen Totenschein gab es nicht, denn die Familie war auf der Flucht. Der Ort wurde von den Serben dem Erdboden gleichgemacht. Die Einwohner flüchteten vor den serbischen Truppen über die Berge. Kuriere führten Frauen, Kinder und Alte nach Tuzla, wo das Internationale Rote Kreuz eine Hilfsstation unterhält.

„Es war ein gefährlicher Fußmarsch von 50 Kilometern, der besonders für die Kinder und die Alten voller Anstrengungen war“, erinnert sich die Bosnierin. Sie seien nur in der Nacht gegangen, und die Kuriere hätten Pflaster verteilt, um sie den Kindern auf den Mund zu kleben, damit die Serben ihr Weinen nicht hörten. In Tuzla habe sie erfahren, daß auch ihr zweiter Sohn von den Serben getötet worden war.

Busse brachten die Flüchtlinge nach Deutschland. Im vergangenen Sommer kam die alte Frau zusammen mit ihren beiden Schwiegertöchtern und fünf Enkeln in Berlin an – acht von etwa 300 Flüchtlingen aus Ex-Jugoslawien, die täglich in der Stadt eintreffen. Das Heim, in dem sie Zuflucht gefunden haben, liegt zwischen Einfamilienhäusern und einem Waldstück am Rande der Großstadt in Mahlsdorf.

Es wird von dem Kroaten Ninoslav Magorović geleitet. Anfang der siebziger Jahre war er in die Bundesrepublik gekommen, um Geschichte und Philosophie zu studieren. Als diplomierter Historiker betreute er freigekaufte DDR- Häftlinge und Roma-Familien aus Polen und arbeitete in verschiedenen Sozialprojekten mit. Im Juni 1993 richtete er in einem ausgedienten Außenstudio des ehemaligen DDR-Fernsehens das Flüchtlingsheim ein. Inzwischen leben hier 112 Menschen, darunter 67 Kinder.

Vier Mitarbeiter und mehrere kroatische Studenten betreuen die Flüchtlinge rund um die Uhr. Sie kennen die Mentalität der Menschen, ihre Lebensgewohnheiten, ihre Religion. Etwa 60 Prozent sind Moslems. Sie sprechen ihre Sprache, begleiten sie zu den Behörden oder zum Arzt. Die Kinder besuchen die nahegelegene Schule.

Bis zur Flucht hatte Emin Haskić in der bosnischen Heimat auf seinen Rentenbescheid aus Deutschland gewartet. Er wurde von den Serben getötet, bevor das Schreiben eintraf. Jetzt wollen die deutschen Behörden seiner Frau die ihr zustehende Witwenrente nicht zahlen. Sie habe kein amtliches Dokument, das den Tod des Mannes beglaubige, heißt es zur Begründung.

Ihre Schwiegertochter Fadela besucht zweimal in der Woche einen Deutschkurs. In der Heimat arbeitete sie als Lehrerin. Trotz der vielfachen Hilfe und dem freundschaftlichen Kontakt mit den Nachbarn aus Mahlsdorf empfindet sie eine Leere, die nicht vergehen will. „Unsere Zukunft ist vollkommen ungewiß“, sagt sie mit Resignation und wiegt den dreijährigen Bekir dabei zärtlich auf dem Schoß.

Wie die anderen Flüchtlinge hat sie eine Duldung der Behörden, sechs Monate in Deutschland in Sicherheit zu bleiben. Was dann wird, weiß sie nicht. Am liebsten würde sie wieder zurückkehren in ihre Heimat, zu ihren Schülern. Doch ihr Dorf ist zerstört, und auch die nahe Stadt Zvornik liegt in Schutt und Asche. Noch immer kann sie keinen klaren Gedanken fassen, wenn sie an die Zukunft denkt. „Hauptsache, der Krieg hört auf, hört endlich auf“, sagt sie ein ums andere Mal.

So wie Fadela geht es vielen Flüchtlingen im Heim. Vor Schmerz und Hoffnungslosigkeit drohen sie zu zerbrechen. Viele bedürfen einer psychologischen Betreuung. Doch die scheitert am Sprachproblem. Ninoslav Mogorović faßt ihre Situation zusammen: „Es sind Menschen ohne Zukunft und mit einer Vergangenheit, die zerbombt ist.“ Renate Oschlies (epd)

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