: Aktionismus auf Kosten der Schwächsten
■ Miese Stimmung auf der Hamburg-Welle wegen der Abschaffung der Abendsendung „Kopfhörer“
War die Liquidierung der Jugendmusik-Sendung „Kopfhörer“ auf der Hamburg-Welle nur das Bauernopfer einer gescheiterten Programmreform, der hilflose Versuch, den Druck von oben mit Aktionismus auf Kosten der Schwächsten im Sender zu beantworten? So sehen es zumindest diverse Redakteure und Mitarbeiter des Hauses, die gestern von der taz befragt wurden. Zudem entkräfteten sie alle offiziellen Begründungen für die klägliche Abfertigung. Keinesfalls sei die Einschaltquote des „Kopfhörers“ schlechter als die der davor ausgestrahlten Sendungen, wie man den Mitarbeitern in der Begründung für die Abschaffung der Sendung weismachen wollte.
Die Erklärung, „Kopfhörer war für unsere Zielgruppe ab 40 ein Abschaltimpuls“, wie Chefredakteur Rüdiger Knott gestern auf der Pressekonferenz zum besten gab, hält man im Hause selbst für einen schlechten Witz. Auch das Abend-Journal direkt davor habe keinen einzigen Hörer mehr, nämlich „um die 2000“.
Überhaupt können Knotts Untergebene über das Schielen nach Einschaltquoten im Fernsehschatten nur den Kopf schütteln. Dennoch scheint es für sie genau dieses Instrument gewesen zu sein, mit dem man den neuen Chefredakteur unter Druck gesetzt habe. Um diesen wenigstens etwas zu mildern, habe Knott dann das Programm musikalisch rigide vereinheitlicht.
Genau diese, und im NDR nicht neue, Tendenz machen Insider für das tatsächliche Absinken der Einschaltquote von Kopfhörer verantwortlich. Die als Nachfolgesendung für „Musik für junge Leute“ anfänglich mit großem Erfolg gestartete Sendung verlor unter zunehmendem Druck des Hauses, ein konventionelleres Musikprogramm zu fahren, immer mehr Hörer.
„Als die noch machen konnten, was sie wollen“ so ein Kollege des „Kopfhörer“-Teams, „mochten wir im Haus zwar die Sendung nicht, aber draußen kam sie an.“ Durch das Diktat der Klangfarbe für Frührentner, die man nun rund um die Uhr mit Oldies und leicht verdaulicher Popmusik erreichen möchte, wäre „Kopfhörer“ selbst in seiner mildesten Form sicherlich „nicht mehr ein Spagat, sondern ein Fremdgehen“ für die erhoffte Klientel gewesen, wie Knott es ausdrückt.
Auch die Art und Weise, wie den Moderatoren nicht direkt mitgeteilt wurde, daß man ihre Sendung abschaffe, halten nicht nur die Betroffenen für einen schlechten Stil. Knott hatte es auf einer Redaktionskonferenz mitgeteilt, auf der niemand widersprach, weil „Kopfhörer“ ohne redaktionelle Betreuung und somit ohne Lobby läuft. Auch nach außen wollte niemand Stellung beziehen. „Zitieren Sie mich auf keinen Fall!“, war die durchgängige Antwort von allen Angesprochenen. Meinungsvielfalt ist also nicht nur im Programm unerwünscht. Till Briegleb
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen