: Schwerer Überwurf
■ Brüggemann-Prozeß, fünfter Tag
Irgendwann vergeht auch dem geduldigsten Handball-Freund die Froide am Geben. Er habe sich am Ende seiner Zeit bei der Contracta- Rohstoffhandel mit Volker Brüggemann „schwer überworfen“, erzählte gestern Klaus S. vor der VI. Großen Strafkammer des Bremer Landgerichts. Der Grund: S. mußte wie alle anderen Mitarbeiter in Brüggemanns Warentermingesellschaft Contracta Zwangsspenden für den TuS Walle zahlen. In seinem Fall bis zu 20.000 Mark (in Worten: zwanzigtausend), vier- bis fünfmal pro Jahr. Ob er dazu gezwungen worden sei, wollte der Vorsitzende Richter Schmacke wissen. Die Antwort klang ehrlich: „Ich hätte lieber nicht gespendet.“
Erlauben konnte sich S. solche Spenden als „Verkaufsleiter“ der Contracta offensichtlich, wie er gestern am fünften Verhandlungstag im Prozeß gegen den ehemaligen Sponsor des TuS Walle Bremen, Brüggemann, und weitere Mitarbeiter der Contracta vorrechnete. Sein durchschnittliches Einkommen bezifferte er mit 8.000 bis 12.000 Mark pro Monat und mehr. Seinen Spitzenverdienst lag „in einem meiner letzten Monate bei der Contracta“ bei 280.000 Mark (in Worten zweihundertachtzigtausend).
Doch die „Spenden“ allein waren es nicht, was S. im Jahr 1989 zum Ausscheiden aus Brüggemanns Laden veranlaßt hatte. „Ich war mir nicht mehr sicher, ob es da mit rechten Dingen zuging“, erklärte er weiter. Den einzelnen Plazierungen von Kundengeldern an ausländischen Rohstoffbörsen sei mitunter am gleichen Tag die Meldung des Totalverlustes gefolgt, während ein Börsengeschäft im Durchschnitt doch zwei Monate gedauert hätte.
S. konnte auch weitere Details aus dem Alltag im Warentermingeschäft liefern. Die Telefonverkäufer der Contracta mußten nach seinen Angaben bestimmte „Argumentationshilfen auswendig lernen“. Brüggemann selbst habe dann in einer Art Rollenspiel die Eignung zum Telefonverkäufer festgestellt. Auch gestern noch konnte Klaus S. passagenweise aus einem „Gesprächsleitfaden“ und aus einer sog. „Einwandbehandlung“ zitieren, obwohl er Brüggemanns Firma 1989 verlassen hatte und jetzt nach eigenen Angaben Hausmann ist. Beide „Werke“ waren rhetorische Schraubstöcke, mit denen die Kunden schwindelig gequasselt wurden, bis sie ihr Geld für Spekulationen freigaben. U.a. wurde den Kunden in so einer Behandlung zwei- bis dreimal pro Jahr steuerfrei erwirtschaftete Renditen zwischen 30 und 40% des Einsatzes versprochen. In einem inszenierten Rollenspiel, in dem Staatsanwalt Dr. Christian Baumgarte gestern im Gerichtssaal die Rolle des spekulationsbereiten Kunden übernahm, gab S. eine großartige Kostprobe seiner Überredungskünste.
Insgesamt, so die drei Anklagen, sollen die Contracta-Kunden so um 19 Mio. Mark betrogen worden sein, denn 45% der Kundengelder ging per se an die Contracta, „15 plus 3%“ direkt an Brüggemann. Manchmal aber, so der Ankalgevorwurf, sei auch das Restgeld nicht einmal an einer Börse plaziert worden. mad
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