Saltos, Volten und Spagate

Der Berliner Senat plant den finanziellen Ausstieg aus dem Haus der Kulturen der Welt. Er bringt damit nicht nur sich um sein Rest-Image, sondern Berlin vielleicht um seine erfolgreichste Veranstaltungsstätte  ■ Von Barbara Häusler

Im Oktober 1992 mußte das Berliner Haus der Kulturen der Welt (HKW) schon einmal um Hilfe rufen. Damals hatte der amtierende Bürgermeister Walter Momper die in schöner Fußläufigkeit zum Reichstagsgebäude, dem zukünftigen Bundestag, liegende Kongreßhalle in vorauseilendem Gehorsam dem Bundesrat angedient. Daraus wurde zwar nichts, dafür meldeten die Besucherdienste des Bundestages ihre Begehrlichkeiten an (siehe taz vom 5.10. 1992). Mit diesen hat man sich in der Zwischenzeit auf eine für beide Seiten akzeptable Raumnutzungslösung geeinigt.

Gestern gab es nun einen erneuten Hilfeschrei, und diesmal geht es ums Ganze. Auf einem Presse- Hintergrundgespräch ließ die Generalsekretärin des HKW, Anke Wiegand-Kanzaki, die Katze aus dem Sack: Der Berliner Senat will sich laut einer Beschlußvorlage vom 22.6.1993 aus dem Gesellschaftervertrag für das HKW ausklinken. Das heißt, daß es ab 31.12. 1994 keine finanzielle Berliner Beteiligung mehr geben wird und ab 1.1. 1995 das HKW völlig in der Luft hängt. In der Beschlußvorlage, über die am Montag beraten und die womöglich wirklich beschlossen wird, heißt es wörtlich: „Das HKW ist dem Bund zur alleinigen Finanzierung anzubieten.“

Das HKW ist derzeit als GmbH organisiert. 30 Prozent der Anteile (und zwar die Projektmittel, die innerhalb von fünf Jahren von 3,5 auf 2,8 Millionen DM reduziert wurden) trägt das Auswärtige Amt (AA), auf dessen Initiative hin das HKW gegründet wurde. 70 Prozent der Kosten, rund 5 Millionen DM für die technische Unterhaltung des Gebäudes, Personalkosten und die Gehälter der HKW- Angestellten, trägt das Land Berlin. Diese Summe möchte der Senat jetzt komplett einsparen, nachdem Kultursenator Roloff-Momin im allgmeinen Spartaumel zunächst schlicht übersehen hatte, daß ein einfacher Rauswurf des HKW keineswegs den vollen Betrag einspart. Das Land Berlin ist nämlich Besitzerin der Kongreßhalle und müßte selbst für ein leeres Haus noch immer ca. 2,3 Millionen DM Unterhaltskosten bezahlen. Jetzt ist es maximal bereit, das Haus mietfrei zur Verfügung zu stellen, für alles andere soll das HKW künftig alleine aufkommen.

Aus einem solchen Dilemma, denkt man jetzt offenbar bei Senatens, befreit man sich natürlich am besten, wenn man vorsorglich gleich die ganze Institution zur Disposition stellt. Das nämlich bedeutet der jetzige Beschluß. Wie die Kürzungen im Bereich der Goethe-Institute gezeigt haben, ist auch das AA nicht in der Lage, den Berliner Anteil einfach zu übernehmen. Ein Sponsor wird schwerlich bereit sein, für die Reinigungs- und Stromkosten einer Kulturinstitution aufzukommen. Auch aus Brüssel fließen nur Gelder für konkrete Projekte, und die Unesco in Paris unterstützt vernünftigerweise lieber devisenschwache Länder als die reiche Bundesrepublik. Man sieht, die Leute vom HKW haben sich kundig gemacht. In Verhandlungen mit der Kultusminister-Konferenz wurde das HKW derweil auf Länderebene feilgeboten. Neben der puren Existenz des HKW stellt der Berliner Senat mit seinen Plänen also auch noch den Standort des HKW in Frage.

Und darin liegt der eigentliche Skandal. Nicht, daß man sich das HKW in Frankfurt, Dresden oder Castrop-Rauxel nicht vorstellen könnte. Aber eine auch nur annähernd verständliche Begründung dafür, eine der erfolgreichsten Berliner Kulturinstitutionen nicht nur zu gefährden, sondern ihre Abwanderung auch noch gelassen hinzunehmen, dürfte auch Roloff- Momin unmöglich geben können. Anfang Juli letzten Jahres hatte sein persönlicher Referent, Herr Abramowski, auf Nachfrage noch behauptet, eine Beschlußvorlage für das Abgeordnetenhaus bezüglich eines Austritts aus der GmbH existiere gar nicht, und daran sei auch nicht gedacht. Und bereits am 23. Juni 1993 hatte Roloff-Momin per dpa verkündet, das HKW sei nicht gefährdet, sondern ein „prägender Bestandteil sowohl auswärtiger Kulturpolitik wie auch Bindeglied anderer Kulturen zur Hauptstadt“. Was macht er jetzt, in seiner Doppelfunktion als HKW-Aufsichtsratsvorsitzender und Kultursenator? Flagge zeigen, der Herr!

Fassen wir zusammen: Das HKW ist eine erfolgreiche Institution. Und das nicht nur bei den im vergangenen Jahr immerhin 260.000 Besuchern. Das HKW ist auch wirtschaftlich erfolgreich, da es mittlerweile fast 100 Prozent der Veranstaltungskosten durch Eintrittsgelder, Katalogverkäufe und die Weitervermittlung seiner Veranstaltung an andere Institutionen in die alten und neuen Bundesländer wieder einspielt. Das HKW ist darüber hinaus eine Institution, die in einem Klima zunehmender Ausländerfeindlichkeit die wichtige Funktion übernimmt, „interkulturelle Kompetenz“ zu vermitteln. Gerade in Berlin, das sich so gerne metropolenhaft geriert, kann es zu dem längst überfälligen Internationalisierungsschub beitragen.

Das HKW gehört nach Berlin und als unverzichtbare kulturelle Institution am besten in den Hauptstadtvertrag. Die symptomatische Diskrepanz zwischen den Lobeshymnen kulturpolitischer Sonntagsredner und konkreter finanzieller Unterstützung ist unerträglich. 10 Millionen DM Sockelbetrag! Der Bund und Berlin sollten sich eigentlich einigen können.