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Größte Demo gegen Rechts im Osten

■ Über 10.000 in Halle auf der Straße / Wo war Genscher? / Kanzleramt will Strafverschärfung

Berlin (AP/taz) – Am Montag hatten in Halle drei Skins einer 17jährigen Rollstuhlfahrerin ein Hakenkreuz in die Wange geritzt. Drei Tage später schafften es SchülerInnen und Studierende der Stadt, eine Demonstration mit mehr als 10.000 Menschen zu veranstalten. Sie endete mit einer Kundgebung auf dem Marktplatz. „Gestern waren es Ausländer – heute sind es Behinderte – wer ist der nächste?“ stand auf den Transparenten. Andere fragten danach, was die Politik gegen rechtsextreme Gewalt tue.

Zeitgleich kündigte gestern ein Mitarbeiter von Kanzleramtsminister Bohl gegenüber der taz drastische Strafverschärfungen an. Nachdem eine interministerielle Arbeitsgruppe ihren Bericht zu Gewalt und Fremdenfeindlichkeit vorgelegt hat, sollen die Strafen für Körperverletzungen empfindlich erhöht, in schweren Fällen verdoppelt werden. Ob Rassismus als Straftatbestand ins Strafgesetzbuch aufgenommen werden soll, stehe noch nicht fest. Angehörige des öffentlichen Dienstes, die einer rechtsradikalen Partei angehören, sollen entlassen werden. Welche Parteien unter das Verbot fallen sollen, konnte der Beamte des Kanzleramtes nicht sagen: Man werde sich da an die Verfassungsschutzberichte halten.

Ferner will die Bundesregierung verstärkt Einheiten des Bundesgrenzschutzes bei unerlaubten Neonazi-Veranstaltungen einsetzen, acht „Zugriffseinheiten“ sollen bereitstehen. Fußballfans mit rechtsextremistischem Hintergrund können dem Regierungsbericht zufolge bundesweit von allen Stadienbesuchen ausgeschlossen werden. Wie dies Wunsch in der Praxis umgesetzt werden soll, ist noch unklar. Gedacht sei an ein polizeiliches Korrespondentennetz und an eine europaweite Verknüpfung der gesammelten Daten.

Gestern wurden auch neue Verfassungsschutzzahlen zu rechtsextremen Gewalttaten des abgelaufenen Jahres bekannt. Im Vergleich zu 1992 nahm die Gewalt gegen Behinderte und Obdachlose auf mehr als das Doppelte zu – von 145 auf 324 Attacken. Angestiegen ist auch die Zahl der Überfälle auf politische Gegner: 122mal griffen Rechtsextreme mutmaßliche Linke an, 46 antisemitische Taten wurden gezählt. Die Gesamtzahl rechtsextremer Gewalttaten sei 1993 allerdings zurückgegangen, hieß es beim Verfassungsschutz. Auch die Zahl der gegen Fremde gerichteten Straftaten habe von 2.283 auf 1.322 abgenommen. Erstmals wurden nicht nur vollendete, sondern auch versuchte Tötungsdelikte erfaßt. Nach 15 vollendeten Taten mit 17 Toten im Jahr 1992 wurden im letzten Jahr 18 versuchte und vier vollendete Taten registriert, bei denen insgesamt acht Menschen umkamen – fünf davon in Solingen. Drei Viertel der rechtsradikalen Gewalttaten wurden in Westdeutschland verübt. roga

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