DGB streitet um Gentechnik

NGG und IG Metall sehen Gentechnik skeptischer als die IG Chemie / Gentechnik greife „in die Lebenszusammenhänge der Bevölkerung ein“  ■ Von Günter Frech

Hamburg (taz) – Innerhalb des DGB ist es zu einem offenen Schlagabtausch um das Für und Wider der Gentechnik gekommen. Ein knappes halbes Jahr vor dem nächsten DGB-Bundeskongreß beginnt sich eine Front der Gentechnik-Kritiker gegen den IG- Chemie-Vorsitzenden Hermann Rappe zu formieren.

Frauke Dittmann vom geschäftsführenden Hauptvorstand der Gewerkschaft Nahrung-Genuß-Gaststätten (NGG) gehört dazu. „Alles, was bisher über Gentechnik bekannt ist, spricht gegen diese Technologie. Ich persönlich finde, sie ist gefährlich und überflüssig. Da man uns die Unbedenklichkeit höchstwahrscheinlich nie versichern kann, gehe ich davon aus, daß wir auch in Zukunft eine ablehnende Haltung einnehmen werden“, sagte die Gewerkschafterin. „Ich gehe davon aus, daß wir auf dem DGB-Kongreß die Gentechnik ablehnen werden.“

Unumgänglich ist nach den Worten der Gewerkschafterin eine Kennzeichnungspflicht für genmanipulierte Lebensmittel, egal ob mit lebensfähigen, gentechnisch veränderten Organismen oder solchen, die abgetötete, genmanipulierte Lebewesen enthalten.

Zur Kennzeichnungspflicht führt sie an, daß letztendlich zu hoffen bleibt, daß die Verbraucherinnen und Verbraucher darüber entscheiden, ob es den Lebensmittelkonzernen gelingt, mit ihren genmanipulierten Produkten erfolgreich zu sein oder nicht. Durch Aufklärung könne es dann auch zu einem Boykott solcher Produkte kommen. Davor fürchtet sich die Industrie, deshalb sei sie ja so sehr gegen eine vernünftige Kennzeichnungspflicht.

Richtig hochgekocht war der Streit nach Äußerungen des IG- Chemie-Vorsitzenden Hermann Rappe in der November-Nummer der Gewerkschafts-Zeitschrift Quelle. Rappe warf auf dem Höhepunkt der Debatte um die Novellierung des Gentech-Gesetzes DGB-Kollegen antiindustrielle, forschungs- und technologiefeindliche Politik vor und nannte das Diskussionsniveau in den Gewerkschaften aberwitzig.

Rappe verlangte, daß der DGB gefälligst keine Stellungnahmen mehr zu Themen abgebe, die die von der IG Chemie vertretenen Branchen betreffen. Andernfalls, so der IG-Chemie-Vorsitzende und SPD-Bundestagsabgeordnete drohend, werde seine Gewerkschaft eigenständige Positionen entwickeln. Übersetzt heißt das: Wenn ihr meinen Positionen nicht folgt, spalte ich den DGB. Hintergrund solcher Äußerungen sind die großen Hoffnungen auf Umsatz und Jobs, die sich Chemie-Unternehmen und die traditionell unternehmerfreundliche IG Chemie machen. Die Gewerkschaft geht davon aus, daß bis zur Jahrtausendwende europaweit zwei Millionen Arbeitsplätze durch die Gentechnik geschaffen werden. Rappe hatte sich im vergangenen Sommer mit Unterschrift und Konterfei an der „Pro Gentechnik“-Anzeigenkampagne der Chemieindustrie beteiligt.

Für die mit 380.000 Mitgliedern siebtgrößte DGB-Gewerkschaft NGG nimmt sich der Hoffnungsträger Gentech dagegen auch ökonomisch ganz anders aus. Dort, so Dittmann, würden bei Einführung der Gentechnik traditionelle Arbeitsplätze mit Sicherheit verlorengehen. In der Nahrungsmittelproduktion werde die Gentechnik nicht für bessere oder gesündere Lebensmittel eingesetzt, sondern nur für die Lebensmittelproduktion in großem industriellen Stil. Ein Konzentrationsprozeß, bei dem die mittelständischen Unternehmen auf der Strecke bleiben, werde die Folge sein.

„Ich sehe hier keine neuen Arbeitsplätze, die zwei Millionen sind aus der Luft gegriffen und durch nichts bewiesen“, sagt die NGG- Funktionärin. Die Ängste der Bevölkerung seien dagegen real. „Wenn es darum geht, aus Angst vor unkalkulierten Risiken die gesundheitlichen Schäden etwas zu verhindern oder für Profitmaximierung grenzenlosen Forschungseifer und mit dem ,Totschlagargument der Standortsicherung‘ eine Reise ins Ungewisse anzutreten, dann entscheide ich mich im Zweifelsfalle für das erstere.“

Die Diskussion um die Gentechnik dürfe nicht nur unter der Standortfrage abgehandelt werden. „Ebenso muß ethischen und sozialen Fragen Platz eingeräumt werden; nur Offenheit und kritische Distanz machen uns glaubwürdig.“

Und mit einem Seitenhieb auf Hermann Rappe: „Rappes Drohung, gewerkschaftliche Solidarität unter dem Deckmantel eigenständiger Positionen aufzukündigen, ist absolut kontraproduktiv. Wir müssen unter dem Dach des DGB um Meinungen ringen, hier soll auch nichts ,wegbeschlossen‘ werden“, so Dittmann.

Auch in der Gewerkschaftsöffentlichkeit setzt sich die NGG- Vorständlerin offensiv mit der IG Chemie auseinander. „Einspruch, Herr Kollege“ überschreibt sie ihren Beitrag in der Januar-Nummer der Quelle. Und weiter: „Keine Gewerkschaft hat hier einen Alleinvertretungsanspruch. Schon gar nicht bei Dingen, die branchenübergreifend passieren und die in die Lebenszusammenhänge unserer gesamten Bevölkerung eingreifen.“ Gerade bei der Gentechnik müßten die Gewerkschaften auch über den eigenen Tellerrand hinausschauen und auf den Rat kritischer Wissenschaftler, von Umwelt- und Verbraucherverbänden hören.

Die NGG ist nicht allein in ihrer Skepsis gegenüber der Gentechnik. Schon auf den Gewerkschaftstagen 1990 und 1992 wurden jeweils die eher Gentechnik ablehnenden Anträge der IG Metall angenommen und die zustimmenden Anträge der IG Chemie lediglich als „Material“ zur Kenntnis genommen. Und IG-Metall-Vorstand Erwin Vitt schrieb dem Gewerkschaftskollegen Rappe erst unlängst ins Stammbuch, daß nicht jeder ein Industrie-, Forschungs- oder Technologiefeind sei, der für gesellschaftlich vertretbare Zukunftsentscheidungen eintrete. Die langen Jahre als SPD-Abgeordneter in Bonn hätten dem Gewerkschaftler Rappe offensichtlich „die Fähigkeit zum differenzierten Denken genommen“.

Die NGG hatte sich trotz ihres originären Interesses bislang kaum geäußert. Das mag daran liegen, daß diese Gewerkschaft bis November 1992 mit sich selbst beschäftigt war. Nach der Coop-Affäre und dem Selbstmordversuch des ehemaligen Vorsitzenden Günter Döding im Herbst 1989 hat die NGG zwei Vorsitzende verschlissen und mehrmals die Führungscrew neu bestimmt.

Geordnete Verhältnisse herrschen erst wieder seit dem außerordentlichen Gewerkschaftstag im November 1992. Mit Frauke Dittmann wurde eine durch innergewerkschaftliche „Hochdienerei“ unverbrauchte Frau als Seiteneinsteigerin direkt vom Betrieb in die Führungsetage ihrer Gewerkschaft in Hamburg gewählt. Mit ihr, die dem Landesverband Schleswig-Holstein vom Bündnis 90/Die Grünen angehört, kommt auch frischer Wind in die ehemals als eher „rechte“ Gewerkschaft geltende NGG.