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Genuine Kräuter statt moderner Nachspeisen

■ Interview mit der ehemaligen Advokatenköchin der „Uccelleria“ in Palermo, einer der letzten Vertreterinnen der genuinen sizilianischen Küche und Eßkultur

Concetta Priola, 68, führte zusammen mit ihren beiden Schwestern mehr als drei Jahrzehnte eine kleine, nur über die Küche zugängliche Osteria neben dem Justizpalast in Palermo.

taz: Signora Concetta, als Sie die „Uccelleria“ führten, gab es keine Speisekarte und täglich nur ein halbes Dutzend Gerichte. Trotzdem kam die Creme de la creme der Feinschmecker, Advokaten, Staatsanwälte, auch schon mal Bankiers und Manager zu Ihnen. Heute ist das Lokal renoviert, es gibt eine raffinierte Speisekarte – aber man sieht keine Gourmets mehr. Wie erklären Sie sich das?

Concetta Priola: Das Essen, das die heute machen, schmeckt auch nicht schlecht. Aber wir haben halt alles selbst ausgesucht, aus unserer eigenen Metzgerei geholt, zubereitet, abgeschmeckt, sind dabei dick und alt geworden, aber die Leute, die kamen, wurden danach regelrecht süchtig nach unserem Essen.

Was gab's denn da Besonderes?

Eben gar nichts besonderes. Nur Genuines, Sachen, die hier wuchsen, Fisch, den man um Sizilien gefangen, Fleisch, das man hier gezogen hatte und Kräuter, die man hier wildwüchsig, ohne Gewächshaus und Kunstdüngerzusatz findet. Normalerweise gab es als Vorspeise Gemüse, Karotten, Fenchelstücke, Tomaten, Salatblätter, als Pasta Spaghetti mit reiner Tomaten- oder mit Fleischsoße, als Hauptessen Polpette, das sind kleine, handgemachte und mit würzigen Kräutern versehene Fleischbällchen, als Fisch Acciughe, auch Pesce azzurro genannt oder Occhioloni, das sind ganz, ganz kleine Fischchen, die sehr eiweißreich sind und die man in der Pfanne backt. Nachspeise gab's keine, das ist auch so eine moderne Einführung, die nur die Zähne kaputtmacht und all die schönen Sachen stört, die man vorher voller Liebe bereitet hatte.

Uns hat immer gewundert, daß Sie keine Spaghetti pescatore machen, wie alle anderen Lokale hier, gerade in einer Hafenstadt ...

Das sind so zusammengemischte Sachen, sozusagen ein Cocktail aus dem Meer, und Cocktails tun schon im alkoholischen Bereich nicht immer gut. Im Ernst: Wenn Sie die Ingredienzen für die „Pescatora“ – wie übrigens auch für eine Fischsuppe, ein anderer Klassiker der Hafenstädte – heute kaufen, bekommen Sie Krebse aus Spanien, Tintenfische aus Korsika, Muscheln aus Israel und den Fisch aus Marokko: Jedes Stück bringt da seinen Eigengeschmack von der betreffenden Küste mit, da paßt überhaupt nichts zusammen, und das heißt, daß Sie die Verschiedenheiten, die diese Tiere geschmacklich aus ihrem Ambiente mitbringen, durch die Soße überdecken müssen – wozu bringe ich dann die Tiere um, wenn ich sowieso nur Soße schmecke? Da kommt am Ende nur ein Wegwerf-Haschee raus, das jeden Tag gleich schmeckt, und nicht ein „oh“ und „ah“ verursacht, ein „das sind heute aber Krebse mit einem besonders saftigen Fleisch“, oder „vorgestern die Tintenfische, die hatten aber einen noch stärker mediterranen Geschmack“, wie wir das sehr gerne hören.

Was uns am meisten beeindruckt hat, war die Zufriedenheit, die Anwälte und Manager, Fischer und Arbeiter ausstrahlten, die da friedlich nebeneinander saßen – und sich die Gerichte, wenn sie fertig waren, auf Ihren Ruf „Avvocato, le polpette!“ brav selber holten: eine Art Oase direkt neben dem Justizpalast ...

Ja, da saßen schon mal die Untersuchungsrichter neben den Anwälten, mit denen sie gerade vorher böse gerauft hatten, und diskutierten über die Zutaten, die wir da verwendet hatten. Wahrscheinlich gehört eben zum Essen auch die Umgebung, und wir haben eine Umgebung geschaffen, die zu unserem Essen paßte: Den Advokaten haben wir, wenn sie sich hinsetzten, erst mal ein großes Lätzchen umgebunden, damit sie die Tomatensoße nicht auf ihren Anzug kleckerten – das lockert übrigens auch die Eßmanieren auf, die Leute sind nicht mehr so steif.

Das Interview führte

Werner Raith, Palermo

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