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Kleine Zweifel am großen Durchbruch

Abgefundene Verlierer, wenig überzeugende Gewinner: Reaktionen auf die Einigung über den Umzug von Bonn nach Berlin / Beendet ist die Umzugsdebatte mitnichten  ■ Aus Bonn Hans Monath

Die Demonstranten hielten ihre Plakate in die Höhe („Umzug ist Unfug“) und schwiegen höflich, als die Teilnehmer des Spitzengesprächs zum Bonn-Berlin-Gesetz gestern vormittag vor dem Kanzleramt vor die wartenden Kameras traten. Dabei hatten sich die Parteichefs von CDU, CSU, FDP und SPD, deren Fraktionsspitzen und die beiden Oberbürgermeister der Konkurrenzstädte Berlin und Bonn mit Kanzler Kohl gerade auf eine Lösung geeinigt, die den zweieinhalbjährigen Kampf der Bonner Donnerstags-Demonstranten und Handzettelverteiler für vergeblich erklärte.

Daß Bonns Oberbürgermeister Hans Daniels nicht eben glücklich wirkte und sich nervös auf die Lippen biß, ist für einen Verlierer verständlich. Aber immerhin hatten seine Unterstützer die Ausgleichsleistungen für die Region Bonn gegenüber der Kabinettsvorlage Finanzminister Waigels vom Donnerstag noch einmal um rund 600 Millionen auf 2,8 Milliarden Mark anheben können. Aber im Rheinland geht es nicht nur um Finanzen: Keiner anderen Partei drohen durch den Umzugsbeschluß in der Region größere Verluste als den Christdemokraten. Bürgerliche Protestgründungen wie die „Rheinlandpartei – Europäische Föderalisten“ oder die „Aktive Bürger Partei“ haben ihre Gegnerschaft zum Umzug zur zentralen Wahlkampfaussage gemacht und werben langjährige CDU-Wähler ab.

Der „Durchbruch“ (so Berlins Bundessenator Radunski) ist in manchen Punkten noch interpretierbar. So bezweifelte SPD-Chef Scharping gestern vor den Kameras, daß der Zeitplan, den Kanzleramtschef Bohl gerade vorgestellt hatte, auch für die Regierung einzuhalten sei. Er werde schon eher mit dem Umzug der Ministerien beginnen, falls er Bundeskanzler werde. Der SPD-Chef erinnerte an seine Pläne für eine Strukturreform der Regierung, die er entschlacken will.

Die Dissenspunkte versuchte Diepgen bei seiner anschließenden Pressekonferenz herunterzuspielen: Er könne auch damit leben, wenn das Bonn-Berlin-Gesetz keine Eckdaten zum Umzug festschreibe. Begründung: Die „politischen Entscheidungen“ bringen genügend „Klarheit“ und „Planungssicherheit“. Diepgen wollte im einzelnen auch nicht dazu Stellung nehmen, in welchen Bereichen Berlin Abstriche machen müsse, wenn trotz der Aufstockung der Ausgleichszahlungen für Bonn die Gesamtkosten des Umzugs nicht über 20 Milliarden steigen sollen. Er finde „diese ganze Finanzdiskussion zwar interessant, doch zum Teil neben der Sache“. Der nicht als emotional überreagierend bekannte Politiker demonstrierte Optimismus: „Ich selbst erlaube mir, auch ein bißchen fröhlicher zu sein.“

Daß die Diskussion um den Umzug mit dem Spitzengespräch von gestern beendet ist, glauben wohl auch nicht jene Politiker, die diese These lauthals verkünden. So entbrannte gestern ein neuer Streit um die Umzugspläne des Bundesfinanzministeriums. Ressortchef Theo Waigel will gegenüber dem Treuhandgebäude in Berlin einen Neubau errichten lassen. Aber nicht nur um die Bauten wird weiter gestritten werden – auch um das Geld. Scharping: „Ich kann mir nicht vorstellen, daß die von Herrn Waigel genannten 17 Milliarden das letzte Wort sind.“

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