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Vor einer Mickey Mouse sind alle gleich

■ In „Öro-Dizznilohnde“, der Mickey-Mouse-Plastikwelt, gibt's jeden Tag Entertainment

Aladdin strahlt. Er hat makellos weiße Zähne, einen offenen Blick, und seine durchtrainierten Oberarme hält er verschränkt vor dem braungebrannten Oberkörper. Aladdins Konterfei schmückt den Paß, der den Weg nach Euro-Disneyland im Osten von Paris öffnet. Im 35 Kilometer entfernten Paris weisen keine Hinweisschilder auf den Metro-Plänen auf die Stadt aus Plastik, Stein, Glas und Karton, die im Herzen der früheren Kornkammer, der Ile de France, entstanden sind. Aber „Öro-Dizznilohnde“ versteckt sich hinter der freilich nur für diesen Zweck gebauten neuen Schnellbahn-Endstation Marne-la-Valleé.

Die Disneys setzen soviel Ignoranz gezielt eine geballte Ladung Amerika entgegen. Auf einer „Main Street USA“ werden die BesucherInnen aus Rom, Sevilla und Paris empfangen. Die Fassaden sind pinkfarben, die Geschäfte heißen „Stores“ und „Cookie Kitchen“, die Ortsangaben sind englisch – Französisch ist hier reine Zweitsprache. Auf den Dächern flattern Stars and Stripes, und der Liberty Court erzählt die Geschichte der New Yorker Freiheitsstatue. Aus Lautsprechern, die in Bäumen, beschnittenen Hecken und Wiesen versteckt sind, rieselt unablässig amerikanische Plastikmusik. In amerikanische Kolonialtrachten gehüllte Disney- Mitarbeiter regeln den Besucherstrom. Die guten Geister führen Kinder zurück zu den Eltern und mahnen, die Main Street vorsichtig zu überqueren. Frankreich liegt meilenweit entfernt.

„Vor einer Mickey Mouse sind alle Menschen gleich“, verkündet selbstbewußt Pressesprecher Jacques-Henri Eyraud, ein zackiger junger Mann, der früher für das französische Militär gearbeitet hat. Bei den Disneys werden Rührstücke produziert, und alle machen mit. Jung und alt, Schotte wie Franzose läuft an diesem Regentag im gelben Plastik- Poncho mit der Mickey Mouse auf dem Rücken herum.

Die Wände in Aladdins Tempel sind dunkel und heiß. Das Gemäuer könnte in der Sahara stehen. An der Wänden hängen gewebte Teppiche. In den beleuchteten Nischen spielen Plastikfiguren die Geschichte mit der Wunderlampe nach. Pro Nische ein Kapitel. Am Ende sitzt Aladdin mit einer Prinzessin auf dem fliegenden Teppich. Draußen ist es kalt an diesem Januartag. Die meisten Saloons und Refreshments sind geschlossen. Nicht einmal vor den neuen „Attraktionen“ wie Indiana Jones bilden sich Schlangen. Die wenigen Besucher verlieren sich auf dem Gelände.

In der Goldmine liegen Hammer und Bergmannsschuhe wie hingeworfen auf dem Gerüst. Doch das Zufällige hat seinen Platz. Alles ist fest verklebt und vernagelt. Die „Big Thunder Mountain“-Bahn rast durch die Mine. Felsen stürzen ein, und Wassermassen brechen sich Bahn. Menschen schreien. Beim Einstieg in die kleinen Boote schallt der Ohrwurm „It's a small world after all“. Zunächst gleitet das Boot langsam durch die Hallen. Die aufgebauten kleinen Mexikaner tanzen, die Japaner tanzen, die Bayern tanzen. Die Boote gleiten mitten durch ihre kleine Welt. Von überall her tönt die Dudelmusik. Unwillkürlich summt man mit.

Der Roboter im „Visionarium“ ist echt. Kein Blut fließt durch seinen stählernen Körper. Er bedient die Apparatur für das 360-Grad- Kino. Die Besucher stehen in der Mitte. „Festhalten“ und „nicht aus dem Kreis heraustreten, wenn wir jetzt mit der Zeitmaschine reisen“, hat der Roboter vorher gesagt. Alle Leute klammern sich am Geländer fest, sie gehen alle gleichzeitig in die Knie, legen sich alle gleichzeitig in die Kurve.

Es ist dunkel geworden in „Öro- Dizznilohnde“ – dunkel, naß und kalt. Um sechs Uhr werden die „Attraktionen“ geschlossen. Die Besucher drängeln sich jetzt in den „Shops“ an der „Main-Street – USA“. Was sie den ganzen Tag überlebensgroß um sich hatten, kaufen die Touristen nun als T-Shirts, Socken und Plüschtiere. Schwer beladen mit großen Euro- Disneyland-Tüten sitzen sie erschöpft auf den Bänken und kauen an den letzten Hamburgern dieses Tages.

„Wir haben noch viel vor“, sagt eine Zwölfjährige zu dem Herrn, mit dem sie ihre Pommes teilt. „Morgen müssen wir zu Indiana Jones und der Abenteuerinsel. Übermorgen ist das Discoveryland dran.“ Der Vater nickt müde. Eigentlich hatte er einen kurzen Abstecher nach Paris geplant. Aber daraus wird wohl nichts. Die Tochter will das Weihnachtsgeschenk – drei Tage Disneyland – bis zum letzten auskosten. Nach harten 72 Stunden werden sie vor ihrem Disney-eigenen „Santa Fe Hotel“ in den Aiport-Bus steigen, der sie direkt an das Flugzeug zurück nach Frankfurt befördern wird.

Zurück bleiben wird das luxuriöse Disneyland-Hotel im Zuckerbäckerstil, von dessen Präsidentensuite aus man den ganzen Park überblicken kann. Die Aussicht kostet so viel wie die Nacht im berühmten Pariser Hotel Ritz. Zurück bleiben auch die grinsenden Plastikmäuse und die Berieselung mit sanfter Musik, der Popcorn- Duft und die amerikanische Straßenbeschilderung. Und das kleine Mädchen wird wieder ein ganz normales Kind.

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