piwik no script img

Luststeigernde Umwege des Badminton

■ 1.Bundesliga: VfL 93 Hamburg verlor am Freitag mit 0:8 gegen Tabellenführer ausLangenfeld

Bruno Rduch schmeißt seine Selbstbeherrschung über Bord und den Schläger zu Boden. „Nun reiß'dich aber zusammen“, versucht sich der verschwitzte 33jährige autogen aus dem Formtief zu coachen. Auf den 250fach besetzten Bankreihen in der Sporthalle Wandsbek fühlt man sich angenehm an Boris Becker erinnert.

Am Freitag abend wurde jedoch in der Rüterstraße kein Tennis gespielt. Der auf dem Boden gelandete Schläger wiegt nur 100 Gramm und der Grund für das Gebaren auf dem Spielfeld mutet für Laien ebenfalls recht unerheblich an: Ein Federball, der knapp an der Außenkante einer gelben Klebebandmarkierung auf gegnerischem Boden vorbeischrammt. Bruno Rduch spielt Badminton beim VfL 93, dem wohl unbekanntesten Erstligisten der Hansestadt.

„Unser Ziel ist es, Vorletzter zu werden, damit wir noch in die Relegation kommen“, formulierte VfL-Trainer Mike Keller nicht eben bescheiden vor der anstehenden Partie. Zu Gast beim Tabellenschlußlicht ist schließlich der FC Langenfeld, die Nummer eins der Liga. Eine Niederlage gegen die Saarländer kann sich das zwölfköpfige Team aus Barmbek kaum leisten, wenn es erstklassig bleiben will. Das weiß der ganz in schwarz gewandete heimatliche Manager Joachim Bergmann, und das weiß auch die für eine Randsportart beachtliche Fangemeinde. Fünf Minuten vor sieben stimmt man sich entsprechend ein. Aus den Boxen dröhnt Deep Purple - „Smoke on the water“, was sonst - und Frauen entnehmen einem, aus Bettlaken zusammengenähten Beutel zugeklebte Keksdosen, in denen Erbsen, Reis und Muttern scheppern. Ein Satz Holzrasseln macht die Runde.

In den acht Teams der 1971 gegründeten Badminton-Bundesliga finden sich Männer und Frauen. Mixed wird dennoch nur eines der obligatorischen acht Matches gespielt. Ergänzt wird ein Wettstreit durch zwei Doppel und drei Einzel der Herren sowie jeweils ein Einzel und Doppel der Damen.

Das von englischen Kolonialoffizieren aus Indien importierte Spiel, das sich erst Mitte der 50er Jahren in Deutschland etablierte, entscheidet eine Partei mit zwei Gewinnsätzen für sich. Zum Satzgewinn sind bei männlicher Beteiligung 15, ohne nur elf Punkte nötig. Obwohl parallel auf zwei Courts gespielt wird, dauert eine Begegnung üblicherweise vier bis fünf Stunden.

In Wandsbek ist jedoch schon nach drei Stunden alles vorbei. Zu klar ist die Überlegenheit der Gäste, denen die VfLer nur einen der 17 gespielten Sätze abringen können. Bruno Rduch bäumt sich im letzten Spiel des Tages verzweifelt auf. Haarscharf nur - immerhin war beim Stand von 13:13 im zweiten Satz die regelübliche Verlängerung von fünf Punkten fällig - verspielte der Hamburger den zweiten Satzgewinn für sein Team gegen den nervenstarken Robert Neumann.

„Ich war nicht in Form“, kommentiert hernach Dharma Gunawi, der vom TV Mainz-Zahlbach abgeworbene VfL-Star, geknickt seine desolate Leistung gegen den amtierenden deutschen Einzelmeister Oliver Pongratz. Der von den Mainzer Fans wegen seines trickreichen Spiels „der Zinker“ getaufte 23jährige Dharma Gunawi stammt aus Indonesien, wie die amtierenden Einzelweltmeister Susi Susanti und Joko Suprianto auch. In Asien und Dänemark besitzt Badminton die größte Popularität. Länderspiele, beispielsweise in einer Arena in Kuala Lumpur ausgetragen, die ähnlich viele Fans faßt wie der Centre Court an der Wimbledoner Church Road, verfolgen via Fernsehen 450 Millionen Asiaten. Für SpielerInnen, die in ihrem Heimatland nicht zur allerersten Garnitur gehören, rentiert sich das Spiel in der deutschen Liga allemal.

Der hiesige Badmintonverband verzeichnet zwar lediglich 156.000 Mitglieder bundesweit. Schätzungen von Experten zufolge tummeln sich auf kommerziellen Courts jedoch zwei Millionen BreitensportlerInnen. Die Freizeitsportiven entstammen durchweg der gutsituierten Mittelschicht, Grund genug für Sponsoren, trotz medialen Desinteresses, Geld fließen zu lassen. Warum aber ignorieren die Medien den boomenden Breitensport? Fehlt etwa ein Held?

Mitnichten. Ein Badminton spielender Herr Becker wäre hierzulande kein Idol. Obwohl mit weitaus höherer effektiver Spielzeit und wesentlich längeren Ballwechseln als beim Tennis, ist Badminton hier mehr Spiel denn Sport, irgendwie Federball. Beim Badminton gibt es keine Asse, da der Aufschlag von unten erfolgen muß. Punkten kann, wie beim Volleyball, nur das aufschlagende Team: Die Effektivität wird zu Gunsten luststeigernder Umwege vermindert.

Tennis ist ganz anders, ist rationalisierter Alltag. Aufschlag, As und Punkt ohne lange Warterei - anders als der schwer auf dem Bildschirm auszumachende Firlefanz diffiziler Trickschläge beim Badminton. Beim Spitzentennis geht es einzig um das Resultat. Bum-bum eben. Bis sich an der Vorliebe der Deutschen für den linearen Weg zum Ziel etwas ändert, ist der VfL längst abgestiegen

Claudia Thomsen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen