piwik no script img

Des Waldschrats Solo im Notenhain

Gespielte Poesie: „Oder die glücklose Landung“ von Heiner Goebbels im Hebbel Theater  ■ Von Thorsten Schmitz

So einen Wald hat die Welt noch nicht gesehen! Das ist übertrieben, mag ja sein. Aber mir doch egal. Dieser Wald im Hebbel Theater besteht aus fast nichts. Und hat doch alles. Ein Wald und ein Licht und ein Wind: So wird Hänsels und Gretels Wald atmosphärt haben oder das Dschungelwirrwarr in Endes unendlicher Geschichte.

Rostrote Seidenfussel hängen die ganze linke Bühnenseite hinab, hinter ihnen verstecken sich Ventilatoren, die das glänzende Fell unregelmäßig aufwölben und wieder zusammensacken lassen. Geschickt justierte Spots illuminieren das Auf und Ab. Große Wirkung mit kleinen Mitteln: ein Meer aus Wald, ein Teppich aus Wald. Und statt Blätterrauschen Posaune, statt Laubrascheln schräge Gitarrensoli, kein Vogelgezirp, aber Kongotrommeln. Und im Bühnenzentrum ein kopfstehender Metallkegel. Ein Baum? Eine Pyramide? Ein Haus? Ein Asyl? Wer weiß das schon. Kunstsand rieselt dann und wann durch und auf den Kegel. Später ist der Kegel kein Kegel mehr, sondern eine Säulenflucht (Bühne: Magdalena Jetelová).

Heiner Goebbels kryptisch betiteltes „Ou bien le débarquement désatreux. Oder die glücklose Landung“, uraufgeführt in Paris letztes Frühjahr, ist Balsam für Bauch und Sinne. Kein Kopftheater, sondern gespielte Poesie. Ingredienzen: Träume, Wünsche, Fiktionen, unwichtige Tatsächlichkeiten, wichtige Nichtigkeiten. Seltsame Gestalten aktiviert der Theaterkomponist Goebbels, wundersame Gestalten treten auf und ab in seinem sinnlichen Stück. Eine schwarze Frau (Sira Djebate) intoniert senegalesische Volkslieder, ein schwarzer Mann (Boubakar Djebate) zaubert aus einer Kora, einer Art Kürbisharfe, schmachtige Melodien, die nie aufhören sollen.

Die musikalische Multikulturalität komplettieren Hans Reichel (Saxophon), Yves Robert (Posaune), Alexander Meyer (E-Gitarre) und Xavier Garcia (Keyboards). Zaghaft, als hätten sie das Gefühl, sie könnten stören, schleichen sie auf die Bühne, das heißt, sie kommen so dahergeschlendert. Musizieren, posaunen, probieren. Und gruppieren sich um André Wilms, den weißen Mann, strähniges Haar, irrer Blick, weißbeiger Anzug. Wilms irrlichtert von Anfang an umher, ist verloren im Wald. Eine überdimensionierte Glühbirne leuchtet ihm den Weg. Nutzen tut sie ihm nichts. Wilms, der die Suche nach Erklärung und Forschen und Stöbern kolossal verinnerlicht, deklamiert in französischer Sprache, selten in deutscher. Phantasiert über das, was ihm im Wald zustößt. Und immer ist der Wald der Gewinner. Aber das macht nichts. Im Wald ist der Mensch ganz klein, er gehorcht ihm. Muß ihm gehorchen.

Rätselhafter Wald. Was passiert, passiert. Warum was passiert, die Frage stellt sich nicht. So ist der Wald. Basta. Stichwortgeber für Wilms' furioses Solo als Waldschrat und Gernegroß und Ganzklein und Phantast und Kämpfer wider Willen sind Heiner Müller, Joseph Conrad und Francis Ponge. Alle drei Autoren beschreiben den einen Nenner: der Mensch und die Natur. Wie er ihr begegnet, wie er sie erfühlt und erlebt. Conrad hat ein Reisetagebuch über eine Expedition in den Kongo verfaßt, Ponge ein „Notizbuch über den Kiefernwald“. Wilms übersetzt und rezitiert und strickt aus den Worten Bewegung.

In Heiner Müllers „Zement“- Text taucht ein Mann in einen Wald ab. Tief drinnen merkt er, daß der Wald die Hydra ist, die er sucht. Und er konstatiert: „Kein Gedanke mehr, das war die Schlacht. Sich den Bewegungen des Feindes anpassen. Ihnen ausweichen. Ihnen zuvorkommen. Ihnen begegnen. Sich anpassen und nicht anpassen. Sich durch Nichtanpassen anpassen. Angreifend ausweichen. Ausweichend angreifen.“ Und Wilms gibt der – aussichtslosen – Schlacht gegen die Wald-Hydra Konturen, er zuckt, skizziert Anpassungen messerscharf mit Armen und Händen, trippelt vor und zurück.

Fanatisch, linkisch kämpft Wilms mit einem Speer gegen den Wald. Doch wer besoffen ist von Wald, der wird ihn nie besiegen können. Soll er ja auch nicht, denn, so Francis Ponge: „Versuchen wir, zusammenzufassen. Das ist: das Wohlgefühl.“ Leider hat das nach anderthalb Stunden ein Ende – und die kalte Stadt einen wieder.

„Ou bien le débarquement désastreux – Oder die glücklose Landung“. Musik und Regie: Heiner Goebbels. Bis zum 21.1., 20 Uhr, Hebbel Theater, Stresemannstraße 29, Kreuzberg.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen