■ Scheibengericht: The Tallis Scholars
William Byrd (1543-1623)
Gimell-Records (CD GIM 343/4
Sein Leben glich einer Gratwanderung – nach allen Seiten drohte der Absturz. Während andere vor religiösem Fanatismus ins Ausland flohen, blieb William Byrd als überzeugter Katholik im katholikenfeindlichen England. Mit Nachstellungen, Überwachungen, Schikanen und Gerichtsverfahren setzte ihm die Obrigkeit zu. Wahrscheinlich haben ihn nur seine außerordentliche Reputation und die Wertschätzung der Königin vor Schlimmerem bewahrt. Das Schisma spaltete auch sein Leben. Offiziell schrieb er als Organist der Royal Chapel (ein Amt, das er seit 1570 versah und mit seinem Mentor Thomas Tallis teilte) Kompositionen für den anglikanisch-reformierten Gottesdienst des englischen Königshofes. Inoffiziell versorgte er aber auch seine katholischen Glaubensbrüder und -schwestern mit geistlicher Musik für deren konspirative Zusammenkünfte.
Eine Veröffentlichung, die zum 450. Geburtstag des vom Zeitgenossen als „Britanniae Musicae Parens“ (Vater der britischen Musik) bezeichneten Renaissance- Komponisten vorliegt, arbeitet diesen interessanten Widerspruch seines Lebens heraus – konfrontiert Byrd mit sich selbst. Seinem üppigsten Werk, dem „Great Service“, das dem Wunsch der anglikanischen Kirche nach größerer Prachtentfaltung entsprach, werden drei kleinere Messekompositionen gegenübergestellt – in lateinischer Sprache gehalten und für den alten Ritus bestimmt.
Der Musikwissenschaftler John Milsom entwirft dazu im Begleitheft folgendes Szenario: „Am Morgen der hohen Festtage – Ostern, Himmelfahrt oder Pfingsten – ist der Chor der Hofkapelle unter der Leitung Byrds vor der Königin und dem Hofstaat versammelt. Der Abendmahlgottesdienst ist im Gange, der Chor singt das Credo aus dem ,Great Service‘. Ein glänzendes und prächtiges Ereignis. Zur gleichen Zeit singen irgendwo in London, in der kleinen Privatkapelle eines katholischen Haushalts, ein paar Männer und Frauen das Credo aus Byrds vierstimmiger Messe. Eine bescheidene, aber von tiefer Gläubigkeit erfüllte Aufführung.“
Der Glaubensgegensatz hatte sich in der Person von Byrd zum musikalischen Kontrastprogramm entwickelt, das von den Tallis Scholars – einem der Spitzenensembles im Bereich vokaler Musik der Renaissance – in einer Weise in Szene gesetzt wird, die der spirituellen Dimension dieser von tiefer Frömmigkeit geprägten Klänge gerecht wird.
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