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Eine Satirezeitung als Aufwiegler

■ Kroatische Armee zieht den Chefredakteur der „Feral Tribune“ ein / Regierung will Zeitungsvertrieb unter ihre Kontrolle bringen

Split (taz) – Das Schriftstück trug nicht einmal eine Unterschrift, nur den undefinierbaren Stempel einer mit der kroatischen Armee zusammengehörigen Behörde. Doch was auf ihm stand, machte Victor Ivanćić nachdenklich. Er sollte sich, so der Text, sofort bei Erhalt des Papiers, an diesem 31. Dezember 1993, bei der kroatischen Armee in der dalamtinischen Hauptstadt Split melden – um dort seinen Dienst als frischgebackener Soldat anzutreten.

Dies jedoch wollte Victor Ivanćić nicht akzeptieren. Denn als Chefredakteur der satirischen Wochenzeitung Feral Tribune wußte er, daß Journalisten in Positionen wie seiner vom Dienst in der Armee befreit waren. Auch wegen der fehlenden Unterschrift entschloß er sich, dem Befehl nicht nachzukommen, und flog erst einmal wie vorher geplant von Split nach Zagreb. Doch sicherheitshalber schickte er an den Chef des Verteidigungsausschusses seiner Heimatstadt ein Telegramm. Und machte deutlich, daß er keineswegs die Flucht ergreife, jedoch glaube, daß es sich um einen Irrtum handele.

Erst bei seiner Rückkehr am 5. Januar wurde ihm klar, daß dies nicht der Fall war. Denn als er nun mit dem Chef des Verteidigungsausschusses telefonierte, beharrte dieser darauf, daß er dem Gestellungsbefehl nachzukommen habe. Und als bei ihm dann zwei Beamte in Zivil erschienen, war für Diskussionen keine Zeit mehr. Victor Ivanćić mußte ihnen folgen und ist seither Soldat der kroatischen Armee.

„Sie schleifen ihn, er hat die Grundausbildung durchzustehen, obwohl er doch schon einmal Soldat war, nämlich in der Jugoslawischen Volksarmee“, sagt Predrag Lućić, Victors Freund und Kollege bei der Zeitung Feral Tribune. Und er glaubt auch nicht an einen Zufall. Denn seit die Zeitung am 28. Dezember auf der ersten Seite eine Collage brachte, wo die Präsidenten Kroatiens und Serbiens, Tudjman und Milošević, bei einem Tête-à-tête in einem Bett zu sehen sind, sei der politische Gegenwind für sie schärfer geworden.

Erst kürzlich habe der hohe Funktionär der Regierungspartei, Vladimir Šeks, bei einer Versammlung in Split den kritischen Geistern des Landes den Kampf angesagt. Sowohl die in letzter Zeit recht erfolgreiche dalmatinische Regionalpartei „Dalmatinische Aktion“ wie auch Feral Tribune seien den Machthabern in Zagreb ein Dorn im Auge. Šeks habe Ivanćić persönlich angegriffen und ihm vorgeworfen, schon vor vier Jahren gegen die Regierungspartei gearbeitet zu haben und jetzt die Kroaten gegen die Regierung aufwiegeln zu wollen. Er werde alle legalen Möglichkeiten ausschöpfen, dies zu verhindern, habe Šeks erklärt.

Doch noch lassen sich die über 20 Mitarbeiter der Wochenzeitung nicht beirren. Denn seit im April dieses Jahres mit der Übernahme der dalmatinischen Tageszeitung Slobodna Dalmacija die letzte große Tageszeitung unter die Kontrolle der Regierungspartei gefallen sei, habe sich Feral Tribune, die ehemalige satirische Beilage dieser Tageszeitung, zu einem ernsthaften und eigenständigen Wochenblatt gemausert. Predrag Lućić: „Mit 50.000 Exemplaren Auflage sind wir nach Globus zur zweitgrößten Wochenzeitung in Kroatien aufgestiegen.“ – Mit ihrem respektlosen Stil habe die Zeitschrift nicht nur die Opposition, sondern auch die Lacher auf ihrer Seite. Und zur Illustration wird die Antwort gezeigt, die in Feral Tribune auf die offizielle Veröffentlichung der alten Soldatenakte von Ivanćić stand. Neben den Bildern von Tudjman und anderen hohen Funktionären des Regimes wird die Veröffentlichung der Akten dieser Leute gefordert.

Einige satirische Kostproben werden gleich mitgeliefert. So ist die Beurteilung für den Präsidenten und ehemaligen General Tudjman nicht besonders gut ausgefallen. Ebensowenig wie die des hohen kroatischen Militärs Ivan Agotić, der bei der Jugoslawischen Volksarmee vor Jahren Ivanćićs linientreuer Vorgesetzter war und der schon damals nichts unterließ, den damaligen und heutigen Oppositionellen Victor Ivanćić zu schurigeln.

Die heiteren Mienen in der Redaktion von Feral Tribune und die Proteste aus aller Welt, so auch die des ehemaligen polnischen Ministerpräsidenten Tadeusz Mazowiecki täuschen jedoch nicht über den Ernst der Lage weg. Denn wie schon Slobodna Dalmacija von dem westherzegowinischen Spekulanten Kutle – einem Verwandten des Oberkommandierenden der kroatischen Armee, Gojko Susak – aufgekauft wurde, habe dieser nun vor, das gesamte Vertriebssystem für Zeitungen in Kroatien in die Hand zu bekommen.

Und dies könnte ihm auch gelingen. Denn der größte Vertrieb aus Zagreb, „Tisak“ wird gerade „privatisiert“. Kutle steht bereit, und die Regierung hat so die Möglichkeit, die Kontrolle über die noch verbliebenen kritischen Zeitungen in Kroatien zu erlangen. Erich Rathfelder

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