: Italiens „Democrazia Cristiana“ vor dem Aus
■ Heute beginnt der Parteitag der Christdemokraten / Neutaufe und Abspaltungen
Rom (taz) – Wenn Rocco Buttiglione, Berater und möglicher Nachfolger des seit 1993 waltenden Chefs der Democrazia Cristiana, Mino Martinazzoli, die Perspektiven seiner Partei betrachtet, sieht er „ständig überraschende Parallelen zur allgemeinen Situation unseres Landes“. Musterbeispiel: „Bei den Kommunalwahlen Ende 1993 ist in Italien die politische Mitte verschwunden“ – auseinandergesetzt haben sich links- grüne Allianzen mit neofaschistischen oder separatistischen Gruppen. Die fast fünfzig Jahre lang bestimmenden Christdemokraten, Sozialisten, Liberalen und Sozialdemokraten dagegen brachten kaum mehr einen Bürgermeisterkandidaten durch.
„Genauso mitte-los scheint mir heute die DC“, parallelisiert Buttiglione, und dabei wirft er seine Blicke nach links und rechts: Auf der einen Seite treibt der sozial ausgerichtete Flügel um die streitbare oberitalienische Europaabgeordnete Rosy Bindi den Parteivorsitzenden massiv zu einer Öffnung hin zu den Ex-Kommunisten der „demokratischen Partei der Linken“. Auf der anderen Seite haben rechtsgewirktere Parteifreunde mit der Bildung eines autonomen Blocks namens „Neues Zentrum“ begonnen, der innerhalb weniger Tage zu einer eigenen Partei ausgebaut werden könnte.
Neben den „Flügeln“ werkeln, intrigant und in alter Fledermausmanier im Dunkeln, auch noch die alten Kämpfer verflossener Macht. Giulio Andreotti zum Beispiel, der zwar selbst im Krankenhaus liegt, aber über seine Fußtruppen der katholischen Laienorganisation „Comunione e liberazione“, der auch Buttiglione nahesteht, ausrichten läßt, daß er längst nicht aufgegeben hat – trotz mehrerer Ermittlungsverfahren unter anderem wegen mafioser Bandenbildung und Anstiftung zum Mord.
Das sind die Voraussetzungen für den Parteikongreß, der am 18. Januar beginnen und nach dem alles anders werden soll. Parteichef Martinazzoli hat allen Aufforderungen zu einer Vorwegnahme des Termins widerstanden und will sich mit einem „runden Programm der Mitte“ präsentieren. Auch soll die Partei dann „Partito Popolare“ heißen, Volkspartei. Welcher Teil des Volkes diese Mitte bilden soll, weiß allerdings auch die Renovierungsspitze nicht so genau.
Möglicherweise werden sich Martinazzoli und sein Buttiglione auch weniger um politische Geographie kümmern müssen als vielmehr um eine Versöhnung mit jenen, die die Partei in den vergangenen Jahren in schneller Folge verloren hat. Der Bürgermeister von Palermo, Leoluca Orlando, hatte sechs Jahre als Stadtoberhaupt ergeben Schild und Schwert (das Wappen der DC) geführt. Erst 1991, als Andreotti ihn aus dem Amt schubste, gründete er eine eigene Partei, „La Rete“. Die wurde Ende 1993 bei den Kommunalwahlen mit 75 Prozent der Stimmen für Orlando stärkste Partei der Inselhauptstadt, während die Christdemokraten, sonst nahe der absoluten Mehrheit, kaum mehr 10 Prozent zusammenbrachten.
1993 schied Mario Segni aus der Partei: Er hatte sich als Vorsitzender der Verfassungskommission mit dem christdemokratischen Staatspräsidenten Cossiga angelegt, von seiner Fraktion keinen Rückhalt bekommen und danach allen Anweisungen seines Parteichefs Forlani zum Trotz einen „Pakt für das Referendum“ gegründet, mit dem er das geltende Wahlsystem aushebelte. Das stellte sich als tödlicher Schlag für die bisherigen Regierungsparteien heraus – seither nämlich darf man nicht mehr wie vordem vier, sondern nur noch einen Kandidaten ankreuzen, und damit wurde die Bildung von „Seilschaften“ im Kielwasser eines angesehenen Kandidaten unmöglich. Darauf aber beruhte das Klientelwesen der Regierungsparteien.
Daß damit möglicherweise das Ende der Katholikenpartei als solcher eingeleitet wurde, erkannten zuallererst diejenigen, die die DC bisher am eifrigsten unterstützt hatten: die Bischöfe und diesen nahestehende Theoretiker wie Buttiglione selbst. Mitte 1993 gab der Heilige Stuhl zunächst einmal sein Einverständnis zur Tilgung des Adjektivs „christlich“ aus dem Parteinamen – nachdem sich die Kommunisten bereits zwei Jahre zuvor umgetauft hatten, schien die ideologische Komponente im Vereinsnamen nicht mehr angebracht. Die Bischofskonferenz beschloß außerdem, daß nunmehr Katholiken „in verschiedenen Parteien die Heilslehre verwirklichen können“. Das gab Dissidenten wie Orlando und Segni natürlich mächtigen Auftrieb.
Doch dann war das dem Vatikan auch schon wieder zuviel – er zog die Notbremse. Vorige Woche wurde Orlandos Chefberater, der Jesuitenpater Ennio Pintacuda, von seinem eigenen Orden kaltgestellt und muß sogar das Wohnheim des Bildungszentrums verlassen, in dem er lebte. Und am vergangenen Montag übersandte Johannes Paul II einen Brief an den italienischen Episkopat, in dem er die „Einheit der Katholiken“ als „unverzichtbar“ bezeichnete und die „historischen Verdienste des europäischen Katholizismus“ als unübertroffen darstellte. Martinazzoli fühlt sich dadurch gestärkt, innerhalb wie außerhalb seiner künftigen Volkspartei. Doch er hat auch erkannt, daß der Aufruf zur Einheit auch ein Rüffel für seine bisherige Arroganz Abweichlern gegenüber ist. Und so hat er sich als erstes Ziel gesetzt, Mario Segni – den er im Grunde als den Politdilettanten einschätzt, der dieser tatsächlich ist – wieder an die Partei heranzuführen.
Keine leichte Aufgabe – Segni persönlich kann er wohl mit Umgurren gewinnen, der Mann braucht nach den Demütigungen durch Cossiga und die DC vor allem Anerkennung. Doch die Gefolgsleute Segnis sind zum großen Teil entschlossene Nicht- Christdemokraten, die auf keinen Fall der Volkspartei beitreten werden. Womit Martinazzoli und Buttiglione ein weiteres Mal ohne Volk dastünden – und die Mitte weiterhin leer bliebe. Werner Raith
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