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"Ab wann wird Konsum unterstützt?"

■ Die LAndesdrogenbeauftragte Elfriede Koller im taz-Interview: Sozialamt soll Suchttherapie bezahlen, neues Gesetz Recht auf Hilfe sichern / Polizeiliche Maßnahmen sind Teil der Gesamtstrategie

Elfriede Koller ist seit November 1993 Drogenbeauftragte des Landes Berlin. Die 41jährige löste Wolfgang Penkert ab, der die bei der Jugendverwaltung angesiedelte Stelle im Januar '93 verlassen hatte.

taz: Die Zahl der Drogentoten ist von 217 im Jahr 1992 um mehr als ein Drittel auf 135 im letzten Jahr gefallen. Hat der Senat versagt, wenn diese Tendenz nicht anhält?

Elfriede Koller: Die Zahl der Drogentoten darf nicht Gradmesser für Erfolg oder Mißerfolg sein. Denn warum Drogenabhängige sterben, ist zuwenig untersucht.

Woran messen Sie den Erfolg Ihrer Arbeit?

Die Zahl der 7.000 bis 8.000 Abhängigen harter Drogen begrenzt zu halten.

So wenig Ehrgeiz?

Die Ursachen von Drogenabhängigkeit sind vielfältig. Es gibt ein Gefüge aus persönlichen Gründen, dem Einfluß des Umfeldes, der Droge selbst, und eine sehr starke Komponente ist der soziale Bereich. In den USA ist der Trend sehr deutlich zu erkennen. Die haben mittlerweile Ghettos, für die die Gesellschaft ihre Verantwortung aufgegeben hat. Auch in Berlin gibt es genügend Sprengstoff.

Ghettobildung werden Sie wohl kaum verhindern können.

Drogenpolitik allein sicher nicht, aber im Verbund mit aktiver Sozial- und Jugendpolitik, die Lebensperspektiven bieten. Nur zu fordern „werdet abstinent“, macht keinen Sinn.

Ausgerechnet hier gibt es Kritik. Jörg Gölz, Vorsitzender der Methadon-Kommission der kassenärztlichen Vereinigung, bemängelte kürzlich, daß für rund 700 Abhängige in Therapie knapp acht Millionen Mark jährlich ausgegeben werden – für die Betreuung von etwa derselben Zahl Substituierter nur eine halbe Million Mark. Nur wer abschwört, dem wird geholfen?

Herr Gölz weiß manchmal nicht, wovon er spricht. Das Problem mit der Methadon-Substitution ist ja gerade, daß sie teuer ist – zumindest, was die psychosoziale Betreuung angeht. Wir kämpfen, damit dieser Weg über die Sozialhilfe finanziert wird.

Ist es teurer, einen Substituierten zu betreuen als einen Junkie?

Der Junkie in Therapie ist „billiger“. Schließlich kostet die Langzeittherapie eines Substituierten im Jahr zwischen 20.000 bis 30.000 Mark. Aber es ist falsch, diese Zahlen zu vergleichen, weil Substitution zunächst andere Ziele hat als eine Drogentherapie. Abstinenz ist im übrigen keine Voraussetzung für unsere Hilfe. Abstinenz ist das Ziel.

Sie vermitteln auch demjenigen, der sich weiterhin einen Schuß setzt, Arbeit und Wohnung?

Jemand, der Heroin drückt, kann sich genauso eine Arbeit oder eine Wohnung suchen wie Sie und ich.

Wir beide müssen wohl kaum große Mengen Geld für Drogen auftreiben.

Es gibt eine ganze Reihe, die ihre Droge über Arbeit finanzieren. Allerdings brauchen jene, die auf der Straße leben und ihre Drogen durch Beschaffungskriminalität und Prostitution finanzieren müssen, unsere Hilfe am meisten. Wir versuchen ja auch, traditionelle Drogenhilfe und die Substitution versöhnlicher zu gestalten, Angebote stärker zu vernetzen. Beispielsweise will „Mobilé“ Arbeitsprojekte für Substituierte aufbauen. „Zuhause im Kiez GmbH“ wird in diesem Jahr ein Übergangshaus für obdachlose HIV-Infizierte und Substituierte eröffnen.

Betreuung Drogenabhängiger im Jahr 1994 besser als 1993?

In Zeiten knapper Kassen ist es schon eine Leistung, den Status quo zu halten. Darüber hinaus haben wir circa eine Million Mark mehr für Streetworker und einen Kontaktladen.

Gerade bei den niedrigschwelligen Angeboten gibt es derzeit Streit. Innensenator Heckelmann fährt seit Monaten massive Polizeieinsätze im Umfeld des Arzt- und Präventionsmobils.

Die Senatslinie – nicht vorrangig Abhängige zu verfolgen, sondern den Schmuggel und Handel zu verfolgen – ist eindeutig. Die Standortgenehmigung für das Arztmobil und der Spritzenbus in der Nähe des Zoos sind gerade bis April verlängert worden. Im Einzelfall muß die Polizei aber auch Abhängige wegen Dealens verhaften. Das muß ich akzeptieren. Und die Betreuung der offenen Szene muß sozialverträglich bleiben. Sie müssen die Bürger mit ins Boot bekommen, die die Abhängigen schließlich nicht unbedingt vor ihrer Tür haben wollen.

Für Sozialverträglichkeit ist neuerdings Polizei zuständig?

Polizeiliche Maßnahmen sind ein Teil der Gesamtstrategie. Es nützt nichts, sie zu verteufeln, noch sind sie ein Allheilmittel.

Sie sind für Dezentralität. Warum sind Sie auf den Vorschlag des Aids-Beauftragten der Gesundheitsverwaltung, stadtweit hygienische Räume anzubieten, nicht eingegangen?

Es ist ausgeschlossen, daß sie Räume zur Verfügung stellen, in denen sie die Leute sich selbst überlassen. Auch ein freier Träger müßte dafür sorgen, daß dort nicht gehandelt wird.

Verantwortung haben Sie doch schon: Es gibt auf 13 Bahnhofsklos Spritzencontainer, die von Fixpunkt geleert werden. Der Aids-Beauftragte und Drogenselbsthilfegruppen drängen auf hygienisch bessere Bedingungen, um den gesundheitlichen Zustand obdachloser Drogenabhängiger nicht weiter zu verschlechtern.

Ich habe nichts gegen Hygiene, aber es stellt sich immer die Frage, ab wann der Konsum unterstützt wird. Die Erfahrungen mit den Hausbooten und Coffee-Shops in Amsterdam sind, daß mehr und zusätzlich gedrückt wurde. Außerdem, wie wollen Sie verhindern, daß die, die noch nicht richtig eingestiegen sind, dort hingehen?

Möglicherweise kann man das nicht verhindern. Aber Sie verhindern mit restriktiver Politik auch nicht, daß die Zahl Drogenabhängiger zunimmt.

Erstens betreiben wir keine restriktive, sondern eine differenzierte Politik, und zweitens ist die Zahl der Abhängigen nicht gestiegen.

In der Berliner Drogenpolitik bleiben innovative Impulse offensichtlich aus. Sind tatsächlich keine Schlagzeilen zu erwarten?

In der Berliner Drogenpolitik gab und gibt es immer wieder Innovationen, ob Sie daraus Schlagzeilen machen, ist Ihre Sache. Zur Zeit arbeiten wir an einem umfassenden Suchthilfegesetz. Den meisten Abhängigen wird ja überhaupt keine ausreichende Hilfe angeboten.

Wann wird Berlin handeln?

Wir wollen in diesem Jahr im Bundesrat initiativ werden, damit Abhängige einen Rechtsanspruch auf Hilfe haben. Interview: Dirk Wildt

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