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Die himmelschreiende Gerechtigkeit

■ Eine „Justitia“ für die Uni, aus der JVA Oslebshausen

Die Gerechtigkeit grinst ein bißchen fies. Die Studenten (Jura) lächeln höflich zurück. Seit gestern steht ihnen eine „Justitia“ vor Augen, in Gestalt einer Betonplastik, die ziemlich von den klassischen Urbildern der Allegorie abweicht. Die gemeinen Züge der Figur sind das Werk eines Künstlers, der es wissen muß: Gisbert Guttstein sitzt in Oslebshausen ein; seit zwölf Jahren hat ihn die Justiz immer mal wieder am Wickel. Seine Version der Patronin aller Richter und Gerechten entstand im letzten Jahr in der Bildhauerwerkstatt der JVA. Jetzt ziert sie ein gleichfalls betonschönes Treppenhaus bei den Rechtswissenschaftlern an der Uni – die allerdings einige Schwierigkeiten hatten, Guttsteins Schenkung überhaupt anzunehmen: Justitia muß eigentlich, genau wie ihr Erfinder, hinter Gittern bleiben.

Alle Zwangsarbeiten nämlich, die den Strafgefangenen auferlegt werden, geschehen schließlich im Auftrage des Rechtsstaates. Und das gilt auch für künstlerische Arbeiten. Was die Amateurkünstler für den Lohn von ca. 1 Mark 40 pro Stunde fertigbringen, ist Staatsbesitz. Zwar werden in Bremen viele dieser Plastiken in öffentlichen Parks und Plätzen aufgestellt – eine der Initiativen des nimmermüden Referats für „Kunst im öffentlichen Raum“. Daß ein Gefangener sein Kunststück aber der Uni vermachen wollte, stellte die Behörden vor Probleme. Da erwies sich die Institution Universität als ebenso hermetisch wie die JVA.

Über die Vermittlung des „Vereins für Rechtshilfe im Justizvollzug“ gelangte die Gerechtigkeit dann doch noch ins Treppenhaus. Der umsichtige Unidirektor Timm ließ im Fachbereich zwar noch nachfragen, ob nicht irgendwer was gegen das dreiste Stück einzuwenden habe. „Aber wir haben dabei nur festgestellt, daß niemand laut Protest geschrien hat“, sagt Joachim Feest vom Rechtshilfeverein. Dennoch hofft er insgeheim, daß die Plastik „gerade bei den Jurastudenten einen gewissen Irritationseffekt“ zeitigen möge.

Guttstein schließlich, der nie zuvor was mit Kunst am Hut hatte („das steckt wohl einfach in mir drin“): Er findet, „daß wir uns eigentlich alle zu Opfern der Verfassung machen lassen“. Und so tritt seine Justitia das Verfassungsbuch mit Füßen, bzw. mit ihrem lieblichen Spielbein. Wegen Einbruchs, aber auch wegen „Belanglosigkeiten“ kam er immer wieder hinter Gitter, zuletzt vor 19 Monaten. Seine Justitia hat es nach draußen geschafft. Guttstein selbst blieb nach der feierlichen Enthüllung eine Stunde Freigang. Dann zurück in den Bau. Vielleicht kommt er in zwei Jahren raus, sagt er, aber so genau weiß er das nicht . tom

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