: Mitten im Leben
■ Eine SFB-Langzeit-Dokumentation um 22.45 Uhr bei B1
Eine gute Konfitüre auf hellblauem Tischtuch. Mihajlo erklärt seinem etwa zwölfjährigen Sprößling die Welt, und Frau Silke reicht ihm dazu die Butter. Das Glück auf dem akurat gemähten Rasen ist hart erarbeitet. Mit siebzehn Jahren und strähnigem Haar hatte der heutige Leiter des Bildungswesens des Daimler-Benz-Konzerns sich fest vorgenommen, keinen Rollen- Konventionen nachzugeben. Heute, zwanzig Jahre später, weiß schon sein Sohn: „Beruf muß sein.“ Allerdings nicht für Silke, die für Kind und Mann ihre Arbeit als Psychotherapeutin an den Nagel hängen mußte. Das Wichtigste sei seine Familie, so der Diplom- Psychologe. Das Wichtigste, korrigiert ihn seine Frau mit Nachsicht, war immer seine Karriere.
Szenen einer Ehe, Bilder aus „Mitten im Leben“, einer Dokumentation von Klaus Salge und Heinz Blumensath, dem ehemaligen Klassenlehrer des Gastarbeiterkindes Mihajlo. So richtige Revoluzzer waren seine Zöglinge eigentlich nie. Auch vor zwanzig Jahren nicht, als ihr Leben auf 16-mm-Zelluloid anfing, als die Regisseure, damals Lothar Kompatzki und Klaus Salge, den Unterrichtsraum der 11. Klasse des Berliner Fichtenberg-Gymnasiums betraten und acht Jugendliche für ihre filmische Langzeitstudie auswählten. 1972 entstand die Dokumentation „Besser als ihr Ruf“, S/ W-Kurzportraits mit zwischen Unschuld und Melancholie wiegenden Slow-Motions und psychedelisch über dem Boden oder himmelhochjauchzend rotierenden Kamerafahrten.
Kühler und sachlicher nimmt sich das zweite Fotoalbum „Zwischen den Jahren“ von 1982 aus. Vorbei ist die Zeit des verspielten Objektivs, vorbei ist auch die der ambitioniert konnotierten Settings, wie M.C.-Escher-Treppen, Kettenkarussells oder graphisch wertvolle Müllberge. Sie werden abgelöst von kurzen Einblicken in die Arbeitsstätten, in mit Schrankwand oder englischen Stilmöbeln bestückte Wohnstuben der Protagonisten.
„Mitten im Leben“, in dem Versatzstücke aus früheren Filmen als dezent kommentierende Vergleichsfolien einmontiert wurden, zeichnet sich nicht immer durch so einfach zu belächelnden Lebenswandel wie im Fall Mihajlo aus. Meistens manifestiert sich der „Verrat“ an der Jugendzeit nur in Details. Da ist zum Beispiel Matthias Fönfrisur, einst Schriftsetzer und DGB-Jugendsekretär. Nun sitzt er an seiner Promotion und möchte keineswegs achselzuckend die politische Eschatologie seiner Sturm-und-Drang-Epoche drangeben. Und der „unpolitische“ Niko, der schon 1972 neben einem überdimensionalen Wachturm an der Mauer Ausschau hielt, wartet auch jetzt schon wieder 2 1/2 Jahre auf die Frau an sich. Irina heißt sie und lebt in Rußland.
Die Normalität der acht Klassenkameraden, ihre Trennungen, Krisen und irgendwo zwischen den Drehs abhandengekommenen Ideale, das alles ist berichtenswert. Aber nicht immer ist den Machern wohl bei ihrer Aufgabe. Manchmal sitzen sie gequetscht auf dem Sofa, ganz so, als befürchteten sie, den Sitzbezug zu beflecken oder eine Vase umzustürzen. Unsicher halten sie dann den Gastgebern das Mikro unter die Nase, wie schwarz bezahlte Straßenhändler eine überteuerte Rose. Die Klage Marlene Dietrichs „I've been photographed to death“ scheint dem behutsamen Autorenpaar noch im Ohr zu schwingen. Dennoch wollen die beiden, solange sie „noch nicht auf Krücken gehen“, in kaum gebrochener Sammlerleidenschaft mit ihrem hierzulande einzigartigen Projekt weitermachen. Schalten wir also in zehn, zwanzig Jahren wieder ein, wenn es vielleicht heißt: „Und dennoch leben sie.“ Birgit Glombitza
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen