: Bayerns Richter als Pyromanen
Verfassungsgericht segnet amtliche Propaganda beim Volksentscheid über die bayerische Müllpolitik ab / Die Verbreitung von Irrtümern darf aus öffentlicher Kasse bezahlt werden ■ Von Annette Jensen
Berlin (taz) – Der bayerische Verfassungsgerichtshof hat ein politisches Urteil zugunsten der CSU gefällt. Gestern entschieden die Richter, daß der Volksentscheid über die Müllpolitik im Freistaat nicht wiederholt werden muß.
72 Abgeordnete von SPD, FDP, den Grünen sowie die Beauftragte des Volksbegehrens Uta Philipp hatten beantragt, die Abstimmung vom Februar 1991 zu wiederholen. Damals standen 8,3 Millionen Leute vor der Wahl, ob sie „Das bessere Müllkonzept“ oder den Entwurf der CSU-Landtagsmehrheit unterstützen wollten. Während die Bürgerinitiative auf Abfallvermeidung setzte und Müllverbrennung ablehnte, wollten die CSU-Politiker weiter verbrennen. 51 Prozent der Bayerinnen stimmten damals für die Abfallöfen. Zuvor hatte der CSU-Filz eine massive, unfaire Kampagne geführt. „Das bessere Müllkonzept hat sieben Aktenordner voll Material gesammelt, das die massive Beeinflussung durch Bürgermeister und Landräte belegt“, sagte gestern ein Sprecher der grünen Landtagsfraktion. Stadtregierungen schalteten Anzeigen zugunsten der Müllverbrennung; Gemeinderäte beschworen stinkende Abfallberge und Rattenplagen, wenn sich die BI durchsetzen würde – und unterstützten offiziell den Landtagsbeschluß.
Dabei gilt bei Wahlen sowohl für den Staat als auch für die Gemeinden laut Grundgesetz und bayerischer Verfassung ein Neutralitäts- und Sachlichkeitsgebot. Das Volksbegehren aber sei keine Wahl, meinten die Verfassungsrichter – nur ein Gesetzgebungsverfahren durch das Volk. „Die Stimmberechtigten können nur dann ihrer Verantwortung ... gerecht werden, wenn sie ... auch die Auffassung der anderen Verfassungsorgane kennen“, befand das Verfassungsgericht. Von den neun Richtern stehen sieben der CSU nahe. Die beiden anderen haben einen Aktenvermerk über ihre abweichende Auffassung angekündigt. Empört ist Uta Philipp vor allem darüber, daß die Richter die damals verbreiteten Lügen der CSU-Leute sogar mit dem Glorienschein der Rechtmäßigkeit ausstatten. „Dabei liegt eine amtliche Äußerung zu Inhalt und Auswirkungen eines Gesetzentwurfs nicht schon dann außerhalb des Sachlichkeitsgebote, wenn sie möglicherweise auf Irrtümern beruht“, schreibt das Gericht. Und das, obwohl schon mehrere Bürgermeister, die entsprechende Anzeigen aus dem Gemeindesäckel finanzierten, deswegen verurteilt wurden. „Wir werden unseren Ärger umfunktionieren und ein Volksbegehren über die Bedingungen von Volksbegehren starten“, versprach Philipp. 35.000 haben schon unterschrieben.
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