Jede Tätigkeit, egal welche

■ Arbeitslose Frauen sind bei der Bewältigung der mit Armut verbundenen Probleme aktiver als Männer

Wie erleben die Betroffenen ihre Armut, und wie versuchen sie, diese Lebenssituation zu bewältigen? In den Interviews, die Mitarbeiter des „Armutsberichts“ mit Frauen und Männern gemacht haben, zeichnen sich unterschiedliche Bewältigungsmuster ab – je nachdem, ob sie ihre Lage als vorübergehend einschätzen oder, wie im Falle von RentnerInnen und Behinderten, als irreversiblen Einschnitt in die Biographie erleben.

Das geringe Einkommen erleben viele nicht als das vorrangigste Problem. Als zumindest gleichrangig werden Perspektivlosigkeit und Zukunftsängste empfunden. Viele Befragte haben große Angst, auf Dauer oder für immer von wenig Geld leben zu müssen. Unter dem Begriff Armut verstehen viele auch eine „absolute Armut“, das heißt, ein Zusammentreffen von Wohnungslosigkeit, Krankheit, Einsamkeit und Hunger. Deshalb definieren sie sich selbst nicht als „arm“.

„Wenn ich jetzt sagen sollte, ich wäre arm, irgendwie sträubt sich da was in mir, weil ich eine schöne Wohnung habe, ein schönes Zuhause. Und deswegen möchte ich nicht sagen ,Armut‘. Ich sage nur, es ist kompliziert zur Zeit, mit dem, was wir monatlich reinbekommen, zu leben, ohne daß wir groß ins Minus kommen.“

Ein arbeitsloser Rundfunkredakteur, der von seinem Arbeitslosengeld Schulden abbezahlen muß, kann von dem Verbleibenden kaum noch normal leben. Er schränkt sich ein, „obwohl, eins konnte ich nie streichen: das Zigarettenrauchen. Also das brauchte ich, da habe ich lieber mal eine Schnitte liegengelassen. Das war eine Zeit, da konnte ich mir echt in der Woche nur ein warmes Mittagessen leisten.“

Für den alleinstehenden 40jährigen, dessen früheres Leben sich voll und ganz um seine Arbeit drehte, bedeutet die Arbeitslosigkeit auch Isolation. Die Armutssituation verstärkt seine zuvor latente psychische Labilität, er versucht zweimal, sich das Leben zu nehmen.

Angst vor sozialem Abstieg und Ausgrenzung sind das dominierende Gefühl vieler Behinderter, die im Zuge der Einheit arbeitslos geworden sind. Diejenigen, die auf Sozialhilfeniveau leben müssen, werden als „überwiegend passiv und depressiv“ geschildert.

Arbeitslose Frauen sind „häufig entschlossener und aktiver als arbeitslose Männer“, wenn es um die Bewältigung ihrer Probleme geht. Sie überwinden auch eher als Männer ihre Scheu, sich an eine Beratungsstelle zu wenden. Auch sprechen sie nach Erfahrungen von Beratern trotz großer Hemmungen sehr viel offener über ihre Probleme. Männer reagierten „häufig wortkarg und zurückhaltend“; bei ihnen sei „sehr viel häufiger spontanes aggressives Verhalten zu beobachten“.

Arbeitslose Frauen und erst recht Alleinerziehende haben derzeit kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Dennoch setzen sie alles daran, wieder eine Stelle zu finden. Auch Jobs mit geringem Entgelt oder einem geringeren Qualifikationsprofil werden angenommen. „Ich wäre nicht über die Runden gekommen, wenn ich nicht noch geschrubbt hätte. Die Tätigkeit ist egal, aber ohne das Geld wären wir untergegangen.“ Häufig hoffen die Frauen, über ungeschützte Arbeitsverhältnisse eher wieder Fuß auf dem Arbeitsmarkt fassen zu können. Es wird auch deutlich, „daß es zur Zeit schon als Statussymbol gilt, überhaupt einen Arbeitsplatz zu besitzen“. Dorothee Winden