piwik no script img

Interview „Das Semesterticket ist kein Allheilmittel“

■ Christoph Muermann (Anwohnerini ) und Sinje Sperber (Asta) über Verkehrsberuhigung im Uni-Viertel

taz: Was bringt das Semesterticket den Bewohnern des Uni-Viertels?

Sperber: Es wird dort täglich einige tausend Autos weniger geben, wobei genauere Prognosen schwierig sind. Vergleichswerte aus anderen Uni-Städten wie Dortmund, die bereits ein Semester-Ticket eingeführt haben, zeigen aber, daß mehr als die Hälfte der autofahrenden Studis in Busse und Bahnen umsteigt.

Die aber werden überfüllt sein, weil der HVV keine Zusatzangebote plant.

Sperber: Das Semesterticket ist kein Allheilmittel. Die HVV-Verbindungen vom Schanzenviertel und Eimsbüttel zur Uni sind in der Tat ganz miserabel. Es wird deshalb die verkehrspolitische Aufgabe des nächsten Asta sein, auf eine bessere Anbindung und Taktverkürzungen bei Bussen und Bahnen hinzuarbeiten. Das Semesterticket fordert solche Maßnahmen des HVV und des Senats geradezu heraus.

Aufgabe des nächsten Asta, das klingt nach Vertröstung.

Sperber: Wir werden uns jetzt auf Kernforderungen konzentrieren, deren Umsetzung aber vehement einfordern. Das heißt: Verkehrsberuhigung rund um die Grindelallee, Anwohnerparken und die Einrichtung der Velo-Route. Die Fahrradwege am Grindel sind meist schmaler als die Fahradlenker, Fußgänger und Radfahrer gefährden sich gegenseitig. Das muß schnell geändert werden.

Ende Januar wollen SPD und GAL in der Bezirksversammlung Eimsbüttel für die Sperrung des Grindelhofes votieren. Die Handelskammer aber blockiert diesen Plan...

Sperber: Nach unseren Beobachtungen sind viele Gewerbetreibenden von der geplanten Sperrung ganz angetan. Die Handelskammer aber schürt Existenzängste mit einer Dreistigkeit und Polemik, die erschreckend ist.

Muermann: Vielen Gewerbetreibenden ist die Sperrung egal: Kein Mensch fährt mit dem Auto schon zum Bäcker. Es gibt zudem Untersuchungen, die zeigen, daß der Umsatz durch verkehrsberuhigende Maßnahmen eher steigt – wer kauft schon gerne in Abgasschwaden ein. Außerdem zielt die Sperrung ja nur auf den Durchgangsverkehr: Wer ein bestimmtes Geschäft mit dem Auto anfahren will, kann das weiterhin tun. Er muß zwar kleinere Umwege in Kauf nehmen, findet dafür aber mit größerer Wahrscheinlichkeit als heute einen Parkplatz.

Der Bezirk fordert die Grindelhof-Sperrung, zusätzliche Radwege und Anwohnerparkplätze. Die Baubehörde, die das absegnen muß aber sagt: bitte warten.

Muermann: Auch der Wirtschaftsverkehr steckt im Stau. Die Staubehörde, pardon die Baubehörde, verwaltet das Verkehrs-Chaos nur noch. Seit zwölf Jahren werden verkehrsberuhigende Maßnahmen im Uni-Viertel auch von ihr immer wieder verschoben. Inzwischen haben wir hier eine nachgewiesene Kohlenmonoxid-Belastung, die doppelt so hoch liegt wie in der Stresemannstraße. Die Anwohner und die Bezirkspolitiker haben dieses Problem erkannt...

...können aber leider nicht die zu seiner Abhilfe notwendigen Entscheidungen fällen.

Muermann: Der SPD liefen im Uni-Viertel bei der Bürgerschaftswahl in Scharen die Wähler davon. Gleichzeitig schießen die Verkehrsinitiativen in der Stadt wie Pilze aus dem Boden. Wenn die SPD am Machterhalt interessiert ist, wird sie sich eine systematische Wählerverärgerung durch die Fortsetzung ihrer bisherigen Verkehrspolitik nicht leisten können. Hierin liegt eine Chance, daß sich im Uni-Viertel was bewegt.

Fragen: Marco Carini

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen