„Die Verantwortung trage ich“

■ Deborah Lefkowitz über ihren Film „Intervalle des Schweigens“, den sie zu einer Rauminstallation verarbeitete

1990 drehte Deborah Lefkowitz ihren Film „Intervalle des Schweigens: Jüdischsein in Deutschland“, der in Berlin zuletzt im Arsenal zu sehen war. Jetzt zeigt die Filmemacherin noch bis zum 28.1. Bilder und Texte ihres sowohl in den USA als auch in Deutschland mit mehreren Preisen ausgezeichneten Films als Rauminstallation in der Galerie am Scheunenviertel.

Durch die Mittel der Abstraktion und Verfremdung alltäglichen und vertrauten Bildmaterials sowie des ausgewählten Einsatzes von Text und Tondokumenten überschreitet die Regisseurin bewußt die Grenzen des konventionellen Dokumentarfilms. Die Rauminstallation „Abstand und Annäherung“ hat sich aus dem Film entwickelt. Auf großformatiges Plexiglas gerastert, grafisch aufgelöst, auf Wände und Böden projiziert, strukturieren einzelne Filmbilder den Raum. Kontroverse jüdische und nichtjüdische Stimmen scheinen, sich überschneidend, eine Art Non-Gespräch aus Meinungen übereinander, Trauer, Entsetzen und Erinnerung zu führen, das den Besuchern eine subtile Teilnahme erlaubt.

„Zuhause ist da, wo man sich mit geschlossenen Augen zurechtfindet.“ Diesen Satz sagt im Film eine Tochter über ihren nach Deutschland zurückgekehrten Vater. Sie ist eine der zahlreichen Stimmen einer westfälischen Kleinstadt, die Deborah Lefkowitz zu einem vielschichtigen Porträt komponiert hat. „Diesen Satz kann man wörtlich verstehen, aber auch als Poesie und auch als Metapher – und mit den Bildern habe ich dann versucht, eben diese Metaphern zu liefern, dadurch die Sprache anders wirken zu lassen und natürlich auch in Frage zu stellen“, erklärt die Filmemacherin.

Tatsächlich zeigt der Film wenige rein dokumentarische Aufnahmen der betreffenden Stadt, die bewußt ungenannt bleibt. Die meisten Bildsequenzen sind verfremdet, beispielsweise aufgelöst in schwarzweiße Raster, und kommentieren nie direkt eine der sprechenden Personen. Gerade weil man die Sprechenden nicht sieht, nur ihre Stimmen hört, werden ihre Äußerungen, gegensätzlichen Einschätzungen, Bewertungen und Perspektiven sehr nunanciert wahrnehmbar. „Ich sehe meine Arbeit manchmal als die innere Landschaft, die Landschaft des Gedanken und des Träumens. Dadurch wird jedem Zuschauer klar, daß ich diese Bilder vermittelt habe und daß ich die Verantwortung dafür trage. Ich meine, Objektivität gibt es nie in Dokumentarfilmen, aber manchmal wird so getan, als ob man die Wirklichkeit einfängt und einfach ohne weiteres wiedergeben kann, was ich nicht glaube. Das ist weitgehend uninteressant für mich. In diesem Fall ist ganz klar, daß die Bilder manipuliert, umgestaltet wurden – und zwar durch mich.“

Zwei Aspekte haben die Entstehung und die schließliche Form des Films entscheidend geprägt. Deborah Lefkowitz begann ihre Ausbildung in Wien an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst und am Max-Reinhardt-Seminar. Film studierte sie am Center for Visual Arts der Havard Uni. Ihre künstlerische Priorität liegt bei einer sehr subjektiven Bildsprache, die versucht, über oral history hinaus und jenseits der Begrenzungen der Sprache sich dem Thema Holocaust und deutschem Antisemitismus zu nähern. Zum anderen entspringt der Film ihrer persönlichen Erfahrung, war eine Notwendigkeit. „Der Film hat sehr viel mit mir zu tun, aber nicht nur mit mir, ich spiele eine nicht einmalige, aber ungewöhnliche Rolle als deutschsprechende amerikanische Jüdin, die mit einem deutschen nichtjüdischen Mann verheiratet ist. Das hat sehr viel Interesse und Neugierde wachgerufen, und ich wurde ständig darauf angesprochen, ob ich wollte oder nicht. Daß ich immer in meinem privaten Raum zur Rede gestellt wurde, war für mich sehr unangenehm. Dann habe ich mir überlegt, daß vielleicht ein Film notwendig wäre, so daß ich nicht immer im privaten Bereich, sondern in der Öffentlichkeit dazu Stellung nehmen könnte.“

Tatsächlich handelt es sich bei der ungenannten Stadt um den Geburtsort ihres Mannes, den sie häufig bereiste, dort über hundert Gespräche mit Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde, jüdischen und nichtjüdischen Bewohnern führte. In mehrjähriger Arbeit entstand auf dieser Basis eine sehr differenzierte filmische Darstellung widerstreitender Meinungen und Sehweisen. Den Auskünften über jüdische Stadthistorie, den Industriestandort von IG Farben, die Deportation jüdischer Deutscher, Äußerungen von Trauer, Schrecken und Zuversicht stehen immer wieder Sequenzen von Stille gegenüber, die die Spannung des Unsagbaren spüren lassen. Gudrun Holz

Bis 28.1. (Mo., Di., Mi., Fr. 14–18, Do. 14–20, Sa. 12–17 Uhr), Galerie am Scheunenviertel, Weinmeisterstraße 8, Mitte.