■ Press-Schlag: Fußball-Fettnäpfchen
Wohl selten zuvor ist bei der Planung eines Fußball-Länderspiels in so viele Fettnäpfchen getappt worden wie bei dem gegen England, das für den 20. April 1994, rein zufällig 105. Geburtstag eines gewissen Adolf Hitler, vorgesehen war. Ein Termin, der, wie der Deutsche Fußball-Bund (DFB) geltend macht, von der UEFA als Länderspieldatum vorgegeben worden sei. In der Tat wäre es idiotisch und eine absurde Aufwertung nazistischer Gruppen, an diesem Tag keine Fußballspiele zu veranstalten, aber ausgerechnet England nach Hamburg einzuladen, war doch extrem kurzsichtig.
In Zeiten des niedergehenden Hooliganismus waren es in den letzten Jahren gerade englische und deutsche Fußballrabauken, die hier und da für ein Aufflackern alter Randale-Rituale sorgten. Auf „geile Boxereien“ mit den wegen der günstigen Verkehrsverbindungen nach Hamburg reichlich zu erwartenden Briten freuten sich in einem Flugblatt auch erklärtermaßen „unpolitische“ Hools. Wäre das Spiel zum gleichen Termin gegen Frankreich in Stuttgart angesetzt worden, hätte vermutlich kein rechtsradikaler Hahn danach gekräht. Doch Hamburgs Fußball-Fanszene ist etwas Besonderes. Auf der einen Seite die eher rechten oder einfach nur auf Schlägerei versessenen HSV-Anhänger, auf der anderen die linken, antifaschistischen St.-Pauli-Fans, die frühzeitig auf die politische Gefahr, die von dem Länderspiel am Hitler-Geburtstag ausgehen könnte, aufmerksam machten und dafür sorgten, daß das für den 19. April geplante B-Länderspiel gegen England am Millerntor alsbald abgesagt wurde. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war das Kind bereits in den Brunnen gefallen. Die rechtsradikale Szene hatte endgültig gemerkt, welch glänzendes Propagandamittel ihr mit dem Match in die Hände gefallen war, jeder weitere Tag an Diskussionen brachte mehr Publicity. Es rächte sich, daß der Hamburger Senat nicht Nägel mit Köpfen gemacht und das A-Länderspiel gleich mit gestrichen hatte.
Der DFB sträubte sich gegen eine Absage, zum einen, weil Bundestrainer Berti Vogts sein Team so gern gegen England testen wollte, zum anderen, weil er, wie es DFB-Präsident Egidius Braun ausdrückte, nicht „vor der Gewalt kapitulieren“ mochte. Ein ehrenwerter, aber nach Auffassung des Hamburger Innensenators Werner Hackmann nicht mehr haltbarer Standpunkt. Nach zweistündigen Beratungen des SPD-Politikers mit Vertretern des DFB und des englischen Fußballverbandes wurde das Spiel am Mittwoch abgesagt.
Ähnliches war bereits vor drei Jahren im Falle des Abschiedsspieles der DDR geschehen, die damals im Leipziger Zentralstadion ihre letzte Partie gegen die BRD-Auswahl bestreiten sollte. Nach diversen Hooligan-Krawallen in östlichen Stadien wurde auf das symbolreiche Match verzichtet. Anders 1983 in West-Berlin, als rechte Gruppen anläßlich eines Länderspiels gegen die Türkei zur Türkenhatz aufriefen und die Stadt für einige Wochen „neurotisierten“, wie der taz- Kommentator damals befand. Die Partie fand unter massiven Sicherheitsvorkehrungen statt, die tatsächliche Präsenz der Rechtsradikalen war gering.
Darüber, wie es in Hamburg am 20. April ausgesehen hätte, kann nunmehr nur noch spekuliert werden. Ob der Stadt allerdings durch die Absage eines Länderspiels der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, noch dazu gegen England, tatsächlich ein solcher Leckerbissen entgeht, wie es nun allenthalben heißt, darf getrost bezweifelt werden. Matti
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