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Sozialklimbim aufgeknackt

■ Mitteldeutscher Rundfunk: "Schlanke Anstalt" auf Kosten der freien Mitarbeiter

„Es macht einfach keinen Spaß mehr!“ Günther Garba*) ist frustriert. Der junge sächsische Journalist gehört zu den freien MitarbeiterInnen im Hörfunk des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR). Ihm ist die Lust an dieser Arbeit in den letzten Wochen gründlich vergangen. „Um 30 Prozent sind die Vergütungen für Dreiminüter im letzten Jahr gefallen.“ So die Erfahrung des ostdeutschen Journalisten, der in der Hauptsache von MDR-Honoraren lebte.

Derzeit kämpft er um seinen Anspruch auf bezahlten Urlaub. Da bekommt er gesagt, er sei nicht weisungsgebunden und könne daher nicht in den Genuß dieser Vergütung kommen, die tarifvertraglich allen arbeitnehmerähnlichen freien Mitarbeitern der ARD-Anstalten zusteht. Günter Garbas Pech: Nach den Gepflogenheiten der ARD ist die Anstalt, bei der der Journalist seine meisten Honorare verdient, dann auch zuständig für die Anerkennung von Sozialleistungen. Hieran wiederum beteiligen sich dann die anderen Anstalten entsprechend ihres Anteils an der Gesamthonorarsumme. Sozial besonders prekär: Erst die Anerkennung eines Urlaubsanspruchs sichert auch die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall durch die ARD-Anstalten.

Hätte Günther Garba nur eine Mark mehr Honorar von einer westdeutschen Anstalt bezogen, er hätte wahrscheinlich keinerlei Schwierigkeiten, seine Sozialleistungen auf nahezu formlosem Wege auch beim MDR einzufordern. Einziger Kommentar aus der Hierarchie des Senders: Er könne ja vor Gericht ziehen, aber er solle im Auge behalten, daß er auch später noch Beiträge an den MDR loswerden wolle.

Diese Einschüchterungsmanöver verfehlen nicht ihre Wirkung, vor allen Dingen nicht bei den ostdeutschen JournalistInnen, die weder Routine mit der komplizierten Materie der Arbeitsverhältnisse bei den ARD-Anstalten haben noch die reale Durchsetzbarkeit von Beschäftigungsverboten in einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt einigermaßen korrekt einschätzen können.

Rüde kapitalistische Drohgebärden sind an der Tagesordnung in Leipzig, wo die Leitung des Hauses Ende vergangenen Jahres die Verhandlungen um einen Tarifvertrag mit der IG Medien und anderen Journalistenorganisationen einseitig abgebrochen hat.

Der größte Kostenfaktor der ARD-Anstalten sind die Personalkosten, einschließlich der Honorare für die freien Mitarbeiter (im ARD-Durchschnitt betragen die Personalkosten 27 Prozent, beim MDR sind es 18,5 Prozent). In einer Zeit, in der die meisten der Westanstalten herbe Werbeverluste einstecken müssen und die nächste Gebührenerhöhung frühestens für 1997 zu erwarten ist, sind es gerade die Ostanstalten MDR und ORB, die sich mit Konzepten der „schlanken Anstalt“ Liebkind bei den Ministerpräsidenten machen wollen. ORB und MDR machen als einzige ARD-Sender derzeit Überschüsse – auf Kosten des Personals. „Die Westimporte in den Führungsetagen versuchen hier alles das aufzuknacken, was sie in den Anstalten der alten Bundesländer nie geschafft haben“, vermutet ein MDR-Anstaltsinsasse.

Es gibt Redaktionen beim MDR, wo lediglich der Redaktionsleiter einen regulären Arbeitsvertrag hat, während die anderen Programmverantwortlichen weiterhin als Freie in der sozialen Schwebe hängen. Dabei ist auch im Südosten Geld genug im Säckel. Bekanntermaßen ist MDR-Intendant Reiter der höchstbezahlte ARD-Hierarch zwischen Rhein und Oder; die wenigen Festangestellten des MDR bekamen von Anfang an Westgehalt. In Leipzig heißt es, daß der MDR derzeit bis zum Jahre 2000 arbeitstäglich eine Million Mark in Beton gießt, sprich etwa 1,5 Milliarden Mark für neue Funkhäuser verbaut.

Die Honorare der freien Zulieferer werden gleichzeitig immer mehr gedrückt. So rechnen die RedakteurInnen der Hintergrundsendung „Zur Sache“ im MDR- Hörfunk damit, daß sie ab April möglicherweise nur noch etwa 750 DM für die auf 22 Minuten gekürzte reine Wortsendung zahlen können. „Dafür können wir nicht mehr arbeiten. Wir brauchen für eine ordentlich recherchierte Geschichte mindestens unsere 1.300 DM“, sagt ein Freier aus einem Berliner Journalistenbüro.

In dieser Situation ohne Tarifvertrag flattert den freien MitarbeiterInnen in diesen Tagen ein dickes Heft ins Haus mit den neuen Honorarbedingungen des MDR. Gleich auf der ersten Seite ist eine „Einverständniserklärung“ abgedruckt, zu der es heißt: „Da wir Honorarzahlungen erst dann vornehmen können, wenn uns die Zustimmung des Vertragspartners zu den Honorarbedingungen vorliegt, bitten wir Sie [...], dieses Schreiben unterzeichnet zurückzusenden.“ In Furcht vor einem Stau ausstehender Honorare haben schon so manche Freie das Papier zurückgesandt, ohne sich darüber im klaren zu sein, ob die einmal anerkannten Honorarbedingungen die Bemühungen um einen Tarifvertrag für Freie unterlaufen. In Honorarsachen etwas beschlagenere JournalistInnen raten daher, erst einmal Kontakt mit den Gewerkschaften aufzunehmen, bevor die Politik des MDR allzu schnell mit einer Unterschrift sanktioniert und damit möglicherweise auf anderswo übliche Sozialleistungen verzichtet wird.

Inzwischen ist der Frust bei den freien Programmzulieferern des MDR groß genug, daß schon das Wort „Boykott“ die Runde macht. Und der könnte durchaus eine Erfolgschance haben. Die Ostanstalten sind an der Achillesferse verwundbar: Vier Jahre nach Zusammenbruch der alten Arbeitsstrukturen ist das Reservoir der erfahrenen und zuverlässigen freien MitarbeiterInnen noch nicht gefestigt. Die Redaktionen können im Streikfalle nicht auf beliebig viele Lückenbüßer zurückgreifen, um ihr Programm aufrechtzuerhalten. -boff-

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