piwik no script img

Let's talk about Sex im Mainzer Landtag

■ Sex-Broschüre für die Jugend von Rheinland-Pfalz für die CDU „nackte Pornographie“

Mainz (taz) – Seit Wochen kennen die LeserbriefschreiberInnen der in Rheinland-Pfalz erscheinenden Lokalzeitungen nur noch ein Thema: das (!) Thema. „Let's talk about Sex“ heißt eine Broschüre der Gesundheitszentrale des Landes für die Jugend. Und mit der Auslieferung der Broschüre an die Adressaten wurde für konservative Kreise offenbar der Anfang vom Ende der „abendländischen Kultur“ eingeläutet. Für die CDU im rheinland-pfälzischen Landtag in Mainz jedenfalls ist die Aufklärungsschrift, in der sexuelle Praktiken auch jenseits der Missionarsstellung ausführlich beschrieben und beim (umgangssprachlichen) Namen genannt werden, ein Generalangriff auf „Anstand und Moral“.

Der erst vor Monatsfrist in sein Amt eingeführte CDU-Landesvorsitzende Gerster (MdB) sprach von aus Steuermitteln vorfinanzierter „Pornographie“. Sein „Entsetzen“ hat auch der dem Zölibat unterworfene Mainzer Bischof Lehmann öffentlich kundgetan. Und weil es in Rheinland-Pfalz offenbar kein wichtigeres Thema zwischen Kirche und Staat zu besprechen gibt, hat Lehmann den Ministerpräsidenten und SPD- Kanzlerkandidaten Rudolf Scharping zum (Sexual-)Rapport in den Dom einbestellt.

Die Grünen-Abgeordnete Gisela Bill warf dem CDU-Chef „haarsträubende Arroganz“ vor. Mit dem Pornographievorwurf gegen die Broschüre hätten die Unionisten auf unverantwortliche Weise die tatsächlich existente „gewaltverherrlichende, menschen- und vor allem frauenverachtende Pornographie“ verharmlost. Bill zur CDU-Fraktion: „Sie stehlen uns hier die Zeit, weil sie mit ihrem verkorksten Verhältnis zur Sexualität nicht alleine zurechtkommen, sondern damit unbedingt das Parlament und die Öffentlichkeit belästigen müssen.“

Sie hielt der CDU vor, sie versuche, sich als „Kreuzritter für Sitte und Anstand“ aufzuspielen. Sie forderte die Union auf, einen Antrag der Grünen für die Wiederansiedlung des Weißstorchs in Rheinland-Pfalz zu unterstützen: „Damit Sie wieder an den Klapperstorch glauben können.“

Ein Faktum stand jedenfalls schon vor der Landtagsdebatte zum Thema fest: Die in einer Auflage von 3.000 Exemplaren gedruckte Broschüre „Let's talk about Sex“ war schon Tage nach der Fertigstellung „vergriffen“. Der Bischof hat eine, und auch der Chef der Union. Die Bezirksvorsitzenden der CDU haben alle eine. Und auch der Domkirchenvorstand in Mainz hat eine ... Schließlich ist es für „learning by doing“ nie zu spät (und selten zu früh).

Ob ein paar Exemplare auch für die rheinland-pfälzische Jugend übriggeblieben sind? Klaus-Peter Klingelschmitt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen