Jens Reich im staatsbürgerlichen Examen

■ Bundespräsidenten-Kandidat stellt sein Programm vor

Bonn (taz) – Der Gast unterschied sich deutlich von den Menschen, die gewöhnlich Bonner Bühnen entern. „Ich habe noch etwas Schwierigkeiten mit dem Blitzlichtgewitter“, gestand Jens Reich gestern vor der Bundespressekonferenz, wo er, auf Einladung der Initiative für seine Wahl zum Bundespräsidenten, sprach. Die Unterstützer schätzen an dem potentiellen „Bürgerpräsidenten“, daß er sein Geld nicht als Parteifunktionär verdient. Im Unterschied zu Politikern las der 54jährige ehemalige Bürgerrechtler das mitgebrachte Thesenpapier zum „Zukunftsprojekt Deutschland“ denn auch nicht vom Blatt ab.

Die große politische Bandbreite seiner Unterstützer sollten der Grünen-Politiker Daniel Cohn- Bendit und der stellvertretende Junge-Union-Vorsitzende Michael Hahn demonstrieren, die sich gemeinsam für den Kandidaten stark machten und Optimismus zu verbreiten suchten. Sie waren merklich bemüht, jede offene Attacke gegen die Parteien zu vermeiden. Deren Allmacht hatte im vergangenen Sommer der „Frankfurter Kreis“ kritisiert, jene Gruppe von Intellektuellen, die Reich als Präsidentschaftskandidat erstmals vorgeschlagen hatte. Gestern war sogar viel Lob für die drei übrigen Kandidaten um das Amt zu hören. Deren Mangel: Sie gelten als Repräsentanten der alten Bundesrepublik.

Den Schwerpunkt seiner politischen Tätigkeit würde ein Präsident Reich im Osten Deutschlands sehen, obwohl er nicht der „Volkstribun der geknechteten Ossis“ sein will. Der überparteiliche Kandidat hofft, daß sich die Deutschen nach Artikel 146 des Grundgesetzes eine neue Verfassung geben, die plebiszitäre Elemente enthält. Zu seinen Zielen gehört die Schaffung eines Einwanderungsgesetzes und die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit, die für ihn eine Bedrohung des „Zukunftsprojektes Deutschland“ darstellt.

Von den Korrespondenten wurde der Kandidat gestern so hart angegangen, daß die Pressekonferenz zeitweise fast zum staatsbürgerlichen Examen ausartete: Ob er denn noch nicht wisse, daß die Bundesversammlung in Berlin stattfinde? Was denn die Parteien für ihn bedeuteten? Der Kandidat erklärte die Parteien für unverzichtbar. Das Bemühen um die langfristige Entwicklung der Gesellschaft aber, der seine Sorge gilt, traut er parteiungebundenen Bürgern eher zu. Hans Monath