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„Nullrunde“ heißt das Reizwort für die 3,5 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst. In der heute in Stuttgart beginnenden Tarifrunde kämpft die Gewerkschaft ÖTV gegen reale Einkommensverluste und Stellenabbau. Von Barbara Dribbusch

Ein Kampf um die alten Besitzstände

Bundeskanzler Kohl und Innenminister Kanther (CDU) haben eine Nullrunde gefordert. Im kommenden Jahr sollen Zehntausende von Stellen abgebaut werden. Für die heute beginnende Tarifrunde für die Arbeiter und Angestellten im öffentlichen Dienst stellt sich die Gewerkschaft ÖTV auf einen „harten Abwehrkampf“ ein, sagt die Gewerkschaftsvorsitzende Monika Wulf-Mathies.

Vier Prozent mehr Lohn und Gehalt fordert die ÖTV für die 3,5 Millionen Arbeitnehmer in West und Ost, „beschäftigungsichernde Elemente“ sollen beim Ergebnis mit angerechnet werden. Aber die Chancen auf eine Wahrung der Besitzstände stehen schlecht. Mit Einbußen beim Reallohn ist zu rechnen. Und selbst eine „Nullrunde“ könne die Reduzierung von Arbeitsplätzen nicht verhindern, erklärten schon die Kommunen.

Was in der Industrie begann, setzt sich auch im öffentlichen Sektor fort: Nachdem im vergangenen Jahr in den neuen Bundesländern nach statistischen Erhebungen der ÖTV etwa hunderttausend Beschäftigte aus Amtsstuben, Kindertagesstätten und öffentlichen Betrieben gefeuert wurden, erfaßt der Schrumpfungsprozeß jetzt auch den Westen. Die Arbeitgeber, naturgemäß etwas zurückhaltender in Prognosen, erwarten für dieses Jahr einen Abbau von mindestens 20.000 Stellen im Westen und 40.000 im Osten – die Rationalisierungen bei Post und Bahn nicht mit eingerechnet.

Das macht Angst, denn Vater Staat galt als der fürsorglichste Arbeitgeber überhaupt. Im Westen Deutschlands schützt ein Rationalisierungstarifvertrag die Arbeiter und Angestellten vor Entlassung. Arbeitnehmer, die 18 Dienstjahre hinter sich haben und älter als 40 Jahre sind, gelten praktisch als unkündbar – genau wie die „Beamten auf Lebenszeit“, ein Status, den man immerhin schon im Alter von 27 Jahren erwerben kann.

Der Rationalisierungsschutz für die Arbeitnehmer greift allerdings nicht, wenn „ein Betriebsteil geschlossen oder ausgegliedert wurde“, erklärt Cornelia Hintz von der Berliner Verbindungsstelle des ÖTV-Hauptvorstandes. Werden ganze Krankenhäuser und Putzkolonnen privatisiert, verlieren die Beschäftigten den besonderen Kündigungsschutz. Vorstandsmitglied Christian Zahn von der Angestelltengewerkschaft DAG warnt vor einer solchen „verdeckten Kündigungswelle“ durch Privatisierung. Bisher werde der Personalabbau über die natürliche Fluktuation geregelt, so Zahn. Doch seien nun auch betriebsbedingte Kündigungen nicht mehr ausgeschlossen.

Ob klammheimliche Stellenstreichung oder spektakuläre Rausschmisse – die hohen Personalkosten werden so oder so gesenkt werden in dem ehemals expandierenden öffentlichen Sektor, in dem inzwischen jeder fünfte der abhängig Beschäftigten in Deutschland sein Brot verdient. Bundesländer wie Bayern und Schleswig-Holstein beschleunigen den Prozeß, indem durch die Verlängerung der Arbeitszeiten für Beamte Hunderte von Stellen überflüssig werden.

Politische Initiativen, den Jobschwund zu stoppen, schielen auf eine Verkürzung der Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich. So will das Saarland mit einer Bundesratsinitiative die rechtliche Möglichkeit schaffen, Teilzeit für Beamte quasi von oben zu verordnen. In Berlin und Niedersachsen gibt es politische Initiativen, bei besserverdienenden Beamten und Angestellten im öffentlichen Dienst die Arbeitszeit ohne Lohnausgleich zu reduzieren. Wird solche Teilzeit mit entsprechend verringerter Bezahlung allerdings zwangsweise verordnet, müßten für die Beamten das Beamtenrecht und für die Arbeitnehmer die tariflichen Bestimmungen geändert werden.

Für die kommende Tarifrunde zeigen aber weder die Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) als Arbeitgeber noch die Gewerkschaft ÖTV besondere Initiative für spektakuläre Beschäftigungspolitik. Es wird vor allem um die Prozente gepokert. Hierbei möchte die ÖTV auch wieder eine überproportionale Erhöhung für die Bezieher niedriger Einkommen durchsetzen.

Denn das Gefälle im öffentlichen Dienst ist groß. Einfache Angestellte müssen sich beispielsweise mit 2.340 Mark brutto zufriedengeben, höchste Beamte kassieren 16.340 Mark im Monat. Die reinen Erwerbseinkommen liegen zwar in der Regel unter denen in vergleichbaren Jobs der freien Wirtschaft, die Rückstände aber werden bei den Arbeitern und Beamten durch die bessere Altersversorgung zumeist ausgeglichen, stellte das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in einer Studie fest. Und während in der Industrie der „Marktwert“ der Arbeitskräfte mit dem Alter deutlich absinkt, erwerben die Staatsdiener mit höherem Dienstalter mehr und mehr Privilegien.

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