: Behindert Reisen
■ Eine Klientel, die im Abseits steht, fordert Gleichstellung im Tourismus
„Ich möchte einmal wie jeder Normaltourist den Katalog aufschlagen und sagen können, da will ich hinfahren.“ Eine behindertengerechte Tourismusinfrastruktur ist Ziel von Rollstuhlfahrer Johann Kreiter, Mitglied im Club Behinderter und ihrer Freunde (CBF) in Stuttgart.
Kreiter fühlt sich nicht an den Rollstuhl „gefesselt“, fährt Go- Kart, spielt Badminton, segelt über die Meere und verweist auf andere Rollstuhlfahrer, die Wasserski fahren, fallschirmspringen oder huckepack Berge besteigen. Der unternehmungslustige Rehabilitationsberater führt Reiseveranstaltern und Behinderten vor Augen, daß „Tourismus für Menschen mit Behinderungen – aktiv und grenzenlos“ sein kann. So lautet das Motto des CBF für die Tourismusmesse CMT in Stuttgart.
Rund zehn Millionen Menschen mit körperlichen, geistigen und/ oder psychischen Behinderungen leben in Deutschland, darunter etwa 430.000 Rollstuhlfahrer. Für die Reiseveranstalter ist das auch wirtschaftlich eine nicht unbeträchtliche Zahl. Dennoch sind behindertengerechte Hotels und Restaurants noch die Ausnahme, weiß Kreiter aus eigener Erfahrung. Die behindertengerechte Ausstattung eines Hotelneubaus würde aber nur Mehrkosten von zehn Prozent verursachen. Schon breitere Türrahmen und bodengleiche Duschen wären ein Riesenfortschritt.
Meistens fangen die Probleme bereits beim Reiseantritt an. Im Unterschied zu niederländischen Bahnhöfen sind deutsche Bahnhöfe nicht mit mobilen Hebebühnen ausgestattet. Auch das Besteigen von Flugzeugen wächst sich zum Problem aus. Lediglich im Bustourismus haben etliche Unternehmen die Marktlücke erkannt und ihre Fahrzeuge behindertengerecht ausgebaut.
Als Schlag ins Gesicht empfindet Kreiter das Urteil eines Flensburger Gerichtes, das die Forderung eines Ehepaares nach Reisepreisminderung wegen des Anblicks Behinderter im Speisesaal für zulässig erklärte. Schlimmer noch sei die Gleichgültigkeit von Politikern und Richtern gegenüber dem Fall. Insbesondere der CDU/ CSU-Fraktionsvorsitzende und Rollstuhlfahrer Wolfgang Schäuble hat aus Sicht von Behinderten die in ihn gesetzten Hoffnungen nicht erfüllt. „Die Enttäuschung des Jahrhunderts“, sagte CBF- Mitglied und Rollstuhlfahrer Werner Gößmann.
Für Gößmann sind die USA das ideale Reiseland. Ein Gesetz gegen Diskriminierung verpflichtet dort jeden Gastronom und Hotelier, die Bedürfnisse Behinderter zu berücksichtigen. In Vergnügungsparks etwa seien Plätze in der ersten Reihe für Rollstuhlfahrer reserviert. Die Eingabe eines Entwurfs für ein umfassendes Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsgesetz auch in Deutschland hatte bei der Verfassungskommission bislang keinen Erfolg. dpa
Aktuelle Reiseberater für Behinderte: Handicapped-Reisen, Ausland, und Handicapped-Reisen, Deutschland, Verlag FMG Fremdenverkehrsmarketing GmbH, Postfach 1547, Bonn.
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