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Der Bart kann gehen

Bayer Leverkusen gewinnt in der Basketball-Europaliga gegen Limoges und darf weiter hoffen  ■ Aus Leverkusen Thomas Lötz

„Eigentlich haben wir nur gewonnen, damit der Otto dieses Zeugs endlich runternimmt“, sagte Leverkusens Coach Dirk Bauermann nach dem Sieg seiner Mannschaft gegen CSP Limoges. Und Otto Reintjes, der angesprochene Manager, schien auch ganz froh, die Vollbartansätze aus seinem Gesicht entfernen zu können. Lange genug hatten sie sein Äußeres verunziert, hatte er die Niederlagenserie seiner Mannschaft in der Europaliga im Gesicht mit sich herumgetragen. Und dann gewinnen sie ausgerechnet gegen den noch amtierenden Champion, gegen Limoges, mit zwanzig Punkten Vorsprung. Da wird Rasieren erst so richtig schön.

Allerdings begann das Ganze zunächst Déjà vu, wie Dirk Bauermann meinte. Limoges spielte eine ausgezeichnete Defense, und als Liga-Top-Scorer Michael Young, dessen bisheriger Schnitt bei imponierenden 29,5 Punkten pro Spiel lag, seinen dritten Dreier zur Zehn-Punkte-Führung (21:11) in den Korb fliegen ließ, da nickten sich die Medien-Kollegen bereits wissend zu: wie gehabt, und jetzt verspielte Bayer auch seine letzte Chance, im vierten Jahr endlich mal die Endrunde zu erreichen.

Doch dann war seit langer Zeit auch mal wieder Harnisch-Hour in der Dopatka-Halle. 14 Punkte machte Henning in den ersten 14 Minuten des Spiels, die letzten zwei davon mit einem Dunk zum erstmaligen Ausgleich (31:31). Bis dahin hatten die Franzosen Bayer immer sicher auf Distanz gehalten, doch dann begann Coach Bozidar Maljkovic, mit unverständlichen Wechseln die Ordnung in seiner Mannschaft aufzuheben. Seine Spieler schossen zudem oft mit zu viel Risiko und warfen fehl. Die Leverkusener steigerten ihre Abwehrleistung, und besonders Chris Welps Reboundquote unter dem eigenen Korb wurde besser und besser.

Und als Henning Harnisch endlich ausgeflogen hatte, stand Abdul Shamsid-Deen an der Freiwurflinie. Der Center, der im Spiel immer so wirkt, als ob man ihn gerade aus dem Bett geholt hätte, lupfte zuerst seelenruhig sechs Freiwürfe ins Netz und warf anschließend noch zwei Punkte nach, Bayers sechster Mann, Moritz Kleine-Brockhoff, erzielte im Anschluß die erste Führung (41:39). Dann Mike Koch mit einem Steal. Allein auf weiter Flur. Noch neun Meter zum gegnerischen Korb. Die Uhr zeigt noch eine Sekunde bis zur Halbzeit. Der Wurf. Einer dieser metaphysischen Momente, die Basketball, dieses enorm schnelle, digitale Spiel, so unbegreiflich werden lassen. Die Zeit auf der Spieluhr rast in Hundersteln davon, das dumpfe Tuten der Schlußsirene, aber niemand wird dessen gewahr. Alles fixiert den Ball, der durch den Hallenhimmel gleitet. Als sei man Zeuge eines einmaligen Naturschauspiels, von dessen plötzlichem Eintreten man völlig gefangengenommen ist, verharrt ein jeder. Ein Augenblick frei von Bewegung, Zeit und der Möglichkeit, einzugreifen. Whhooooosh! erlöst uns der Ball. „Mike Koch – drei Punkte!“ erlöst uns der Hallensprecher. Was für eine erste Halbzeit.

Zu Beginn der zweiten zwanzig Minuten baute Bayer den Vorsprung auf 13 Punkte aus (52:39), ehe Limoges nach der Basketball- Ewigkeit von zweieinhalb Minuten die ersten Punkte gelangen. 150 Sekunden später stellte das katastrophal leitende Schiedsrichtergespann auch noch Michael Young (17 Punkte) vom Platz, und Limoges zerbrach. Gleichzeitig legten Tom Garrick, der bereits mit vier Fouls in den zweiten Abschnitt gestartet war, und Chris Welp (100 Prozent Trefferquote in allen Wurfkategorien) gewaltig los. Und dann tat Welp etwas, von dem er zu dem Zeitpunkt selbst nicht wußte, warum und weshalb: „Der Dirk hat uns gesagt, daß es auch um Punkte geht, aber daran habe ich nicht gedacht, sondern einfach geworfen.“ Und er warf einen Dreier, der in der Endabrechnung von enormer Wichtigkeit sein könnte, denn Bayer hat den direkten Vergleich mit Limoges für sich entschieden, läge bei Punktgleichheit in der Abschlußtabelle vor den Franzosen. Warten auf weitere metaphysische Erfahrungen gegen Barcelona nächsten Donnerstag.

Gruppe B: Athen - Zagreb 67:72, Istanbul - Benfica Lissabon 80:67, Bologna - Badalona 73:65, Cantu - Pau-Orthez 94:66; Tabelle: 1. Athen 16; 2. Istanbul 16; 3. Badalona 14; 4. Bologna 14; 5. Zagreb 14; 6. Lissabon 13; 7. Cantu 11; 8. Pau-Orthez 10

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