■ Zur Regierungskrise in Hessen
: Business as usual

Im hessischen „Lottosumpf“ (Ministerpräsident Hans Eichel) versinken zur Zeit nicht nur die sozialdemokratischen Glücksritter aus Lottogesellschaft und Finanzministerium: Die „Regierungskrise“ (Justizministerin Hohmann-Dennhard) hat bei den BürgerInnen das bis dato noch immer existente Restvertrauen in die Integrität der politischen KlassenkameradInnen zerstört. Und deshalb tragen die SPD-Herren von Uckro, Dumschat, Geske und Krollmann – und nicht zuletzt der zögerliche Ministerpräsident selbst – die Verantwortung dafür, daß sich das Ansehen der repräsentativen Demokratie gleichfalls auf Sumpfbodenniveau stabilisiert hat.

Daß in der hessischen Affäre um die Ab-Kassierer aus der Lottogesellschaft ausgerechnet Sozialdemokraten die Akteure waren, hat für zusätzliche Desillusionierung in der Bevölkerung gesorgt: Was sollen Langzeitarbeitslose, SozialhilfeempfängerInnen, KurzarbeiterInnen oder einfach nur Menschen in Familien, bei denen die Mark „umgedreht“ werden muß, auch davon halten, wenn jetzt schon die RepräsentantInnen der Partei mit dem sozialen Touch ihre Amigos aus den eigenen Reihen mit geradezu diözesanfürstlichen Gehältern und Ruhegeldansprüchen ausstatten? Da könnte der „kleine Mann“ vor Wut den tristen Gang auf dem Arbeitsamt vollkotzen. Und die „kleine Frau“ mit Sozialhilfemindestsatz ihnen vor Zorn das Gesicht zerkratzen – verloren haben es die PolitikerInnen ohnehin schon. – Die Gewinner im Hessenlotto sind die rechtsradikalen Verächter der Demokratie, denen die sozialdemokratisch geführte Landesregierung wiederholt den „politischen Kampf“ angesagt hat. Was aber bringen die gutgemeinten Veranstaltungen („Hessen im Dialog – gegen Haß und Gewalt“), wenn die PoltikerInnen nicht nur in Wiesbaden dafür sorgen, daß sich die WahlbürgerInnen mit kalter Wut im Bauch den Parteien zuwenden, die am lautesten von „Demokratur“ reden und davon, daß sie den „Saustall ausmisten“ wollen? In Hessen hat am kommenden Sonntag – erstmals seit 50 Jahren wieder – ein Faschist die Option, Bürgermeister zu werden. Und die Chancen für Sachs (NPD) in Wölfersheim stehen nicht schlecht.

Mit einem „Befreiungsschlag“ will Ministerpräsident Hans Eichel jetzt, ein Jahr vor den Landtagswahlen, verlorenes politisches Terrain zurückerobern. Doch auch das angekündigte Revirement im Kabinett wird das zerschlagene Porzellan nicht wieder kitten können: Um das Vertrauen zurückerobern zu können, müssen politische Konzepte vorgelegt werden, die auf grundlegende Reformen der pervertierten Erscheinungsformen der repräsentativen Demokratie abzielen. Daß dem zöger- und zauderlichen Hans Eichel – dem Ministerpräsidenten ohne Hausmacht in der eigenen Partei – dafür die Zeit gelassen wird, ist unwahrscheinlich. Schon (wieder) ist den nachdrängenden sozialdemokratischen Karrieristen die eigene Wohlfahrt offenbar weit wichtiger als die von Partei und Staat: Business as usual. Klaus-Peter Klingelschmitt