: Ciba vergiftet Wattenmeer
Pestizidbeutel aus dem französischen Frachter treiben auf Ostfriesland zu / Die Chemikalien sind in Europa nicht zugelassen ■ Von Niklaus Hablützel
Berlin (taz/AFP/dpa) – Der beschlagnahmte Chemiefrachter „Sherbro“ hat am Donnerstag abend gegen Zahlung einer Kaution von fünf Millionen Gulden den Hafen Amsterdam verlassen. Die Summe ist kaum mehr als ein symbolisches Schmerzensgeld. Die Container-Ladung Pestizide, die das französische Schiff im Dezember während eines schweren Sturms verlor, treibt weiterhin in der Nordsee. Sie droht nun auch das Wattenmeer zu verseuchen. Die niederländischen Strände bleiben abgesperrt, auf der Insel Terschelling waren in den vergangenen Tagen rund tausend Beutel mit den Chemikalien angeschwemmt worden.
Gestern ließ die örtliche Wasserschutzpolizei auch auf den ostfriesischen Inseln Borkum, Juist, Norderney und Baltrum vorsorglich die Strände absperren. Krisensitzung im niedersächsischen Umweltministerium, allerdings ohne Monika Griefahn. Die Ministerin flog nach Borkum, um sich dort an Ort und Stelle über die Lage zu informieren.
Der Schaden kann vielleicht von Menschen abgewandt werden, für die Umwelt ist er nicht mehr zu reparieren. Auch Herman Kleemeyer, Experte für das Wattenmeer bei der IWF-Stiftung in Bremen, kann nur raten, die in Säckchen verpackten Chemikalien möglichst schnell aufzusammeln. Doch ob jemals alle wiedergefunden werden, erscheint ihm mehr als zweifelhaft. Wieder einmal hat ein vergleichsweise harmloser Unfall unabsehbare Folgen. In den nicht besonders rißfesten Beuteln sind jeweils etwa 10 Gramm verschiedener Insekten- und Pilzbekämpfungmittel des Schweizer Chemiekonzerns Ciba-Geigy verpackt. Das eine mit Namen „Apron Plus 50 DS“ soll Saatgut vor Schädlingen schützen, ist aber in Europa heute nicht mehr zugelassen: Es gilt nach EG-Richtlinien als „gesundheitsschädlich beim Verschlucken“. Die verunglückte Ladung war auf dem Weg nach Nigeria. Apron Plus 50 DS enthält das besonders wirksame Mittel „Furathiocarb“. Schon eine Menge von 30 Mikrogramm pro Liter Wasser ist tödlich für Fische. Der Stoff ist schwer wasserlöslich und dürfte nach Einschätzung der Bremer Wissenschaftler deshalb in hochkonzentrierten Chargen aus aufgeplatzten Beuteln schon im Meer verheerende Schäden angerichtet haben.
Etwa 200.000 dieser Giftbomben treiben nach einer Schätzung der niederländischen Behörden noch immer im Atlantik. Noch größerer Schaden droht, wenn das Strandgut das ökologisch besonders sensible Wattenmeer erreicht. Anders als am Sandstrand werden die Beutel hier von den Gezeiten in den Schlick gespült, bevor sie aufgesammelt werden können, warnt der niederländische Greenpeace- Experte Jan Bijlsma. Das Gift wird dann noch unbestimmt lange Zeit vor allem den Nachwuchs der Nordsee-Fauna töten. Das Watt ist Laich- und Aufzuchtort etlicher Fischarten. Hermann Kleemeyer schätzt, daß Jungtiere schon ein Zehntel der Furathiocarb-Dosis nicht überleben, die für ausgewachsene Fische tödlich ist.
Nach Auskunft des Ciba-Geigy- Konzerns sind die Chemikalien zwar „rasch abbaubar“. Für das Pestizid Furathiocarb ist aber auch das nur ein schwacher Trost: Als erstes Abbauprodukt entsteht „Carbofuratin“, ein Stoff, der kaum weniger giftig ist.
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