: Mit dem Kanzler im Kopf durch den Freizeitpark
■ Interschau '94: Die Fachmesse für Schausteller bot Saurier, Honecker an der Wurfbude und wenig Neues
Es hat uns ja schon interessiert, wie er aussehen würde. Der Freizeitpark, zu dem Deutschland nach Ansicht unseres Kanzlers nie werden darf. Und ein wenig subversiv ist es ja schon, wenn die Hamburg-Messe nichts besseres zu tun hat, als auf diese mahnenden Worte mit der „Interschau '94“ zu kontern. Austtellungsmotto: „Alles für den Freizeitpark“. Also nix wie rein ins aufmüpfige Vergnügen.
Bereits nach zehnminütiger Visite verstehen wir das Unbehagen unseres obersten Wertehüters. Deutschland als Freizeitpark, so drohen uns die Aussteller an, heißt den ganzen Tag Mandeln muffeln, Geisterbahn fahren und sich beim „Bullride“ von einem elektronischen Stier werfen lassen. Wie spannend. Viel Neues haben die Aussteller nicht zu bieten: Dreistöckige Karussells – na denn, Achterbahnen, die auch rückwärts fahren – okay, okay, Riesenräder mit Kabinen in der Form von Cola-Dosen. Wow - innovativ! Ansonsten hat sich vor allem das dekorative Element dem Zeitgeist angepaßt: Die Wurfbude ist, welch gelungene Kombination, mit den Karikaturen von Steffi Graf, Bumm-Bumm-Becker und (nein, nein nicht Babs mit Noah-Gabriel!) Erich Honecker verziert.
Ansonsten alte Ideen mit neuen Namen: Space Driver, Wooden Coaster und Happy Spider heißen die zahllosen Gefährte, mit denen man seitwärts, kopfüber, sich um die eigene Achse drehend die Standfestigkeit des schmalzgebäckgeschwängerten Magens prüfen kann. Während sich unsere Kleinen bauchschonend in der stählernen Raupe des „Baby Apple Ride“ vergnügen.
Etwas Neues finden wir dann doch noch in einem hinteren Winkel von Halle 11: „Holusion 3 D-Prints“. Geht so: Man fixiert mit starrer Pupille ein Bild mit buntem undefinierbarem Muster. Und gerade, wenn einem vor Gestarre droht schwummerig zu werden, tauchen – richtig schön dreidimensional – faszinierende Phantasiewelten aus den Tiefen des nichtvorhandenen Bilderraumes auf. Hat absolut nix mit Drogen zu tun, sondern irgendwas mit Brennweitenveränderung der Pupille. Einziger Nachteil: Der Spaß ist nach einmaliger Betrachtung ziemlich schnell erledigt.
Natürlich ist 1994 auch die Welt des Freizeitparks im Dino-Fieber. Augenrollende Brontosauren im Originalformat, spritzende und sprechende Dinos, Urviecher in Kuschel-Plüsch. Alles gut und schön. Aber daß nun auch die klassichen Karussell-Pferdchen durch Karussell-Stegsaurier ersetzt werden müssen – nein da hört der Spaß wirklich auf.
Als wir nach drei Stunden 30.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche und 280 Aussteller hinter uns gelassen haben, erinnern wir uns noch einmal an des Kanzlers mahnende Worte. Deutschland als Freizeitpark, die schöne neue Popcorn-Welt all around the Clock? Nö Helmut, muß nicht sein. Da sind wir beide uns, ausnahmsweise, einmal völlig einig. Marco Carini
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